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05.08

„Feindbild Journalismus“ – ECPMF-Geschäftsführer Lutz Kinkel im Gespräch

von Bettina Pregel unter Medienkompetenz Netzwelt

Die Angriffe auf die Pressefreiheit nehmen zu. Auf der Veranstaltung „Wird Journalismus zur Mutprobe?“ warnte Dr. Lutz Kinkel, Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF), in einem Impulsvortrag vor zunehmender Gewalt gegen Medienschaffende. blmplus hat mit ihm über die Gründe für diese Entwicklung gesprochen.

Sie haben früher selbst als Journalist gearbeitet: Wie hat sich das Klima gegenüber Journalistinnen und Journalisten in den letzten Jahren verändert? Haben Angriffe auf die Pressefreiheit nach den Erkenntnissen des ECPMF zugenommen?

Dr. Lutz Kinkel, Geschäftsführer des ECPMF. Foto: ECPMF

Vor der Jahrtausendwende war der Journalistenberuf noch verknüpft mit einem guten Ansehen, ordentlicher Bezahlung und interessanten Perspektiven. Journalistenschulen konnten sich gar nicht retten vor Bewerbungen.

Schauen wir auf die Gegenwart, ist das Bild grau, die Branche leidet unter herben Einkommensverlusten, die Beschäftigten unter hohem Arbeitsdruck, teils prekären Löhnen und einem krassen Imageverlust.

Was ist passiert? Die digitale Transformation, klar. Und mit ihr der verhängnisvolle Boom der Verschwörungserzählungen. Die Folgen sind brutal: Im Jahr 2020 haben wir 69 tätliche Übergriffe auf Medienschaffende festgestellt – mehr als jemals zuvor seit Beginn unserer Untersuchungen im Jahr 2015.

Das ECPMF hat die Publikation „Feindbild Journalismus“ herausgegeben mit dem Begriff „Lügenpresse“ auf dem Coverfoto. Welche Ursachen hat dieser Hass auf die Medien?

Drei Dinge sind wesentlich. Erstens der Mangel an Medienkompetenz: Wer nicht zwischen Qualitätsjournalismus und Fake unterscheiden kann, wird anfällig für Desinformation jeder Art. Zweitens Verschwörungserzählungen, die ja auch von den Algorithmen der Sozialen Medien befeuert werden, zum Beispiel auf Youtube.

Egal, ob jemand glaubt, Deutschland werde abgeschafft, die Erde sei eine Scheibe oder Corona ein Bio-Kampfstoff: Gemeinsam ist die Annahme, dass Journalistinnen und Journalisten nicht wahrhaftig berichten, sondern im Dienst finsterer Mächte stehen. Die dritte Ursache sind autoritär denkende Politiker und Politaktivisten, die vor diesem Hintergrund ein auf Angst und Hass basierendes politisches Geschäftsmodell verfolgen. Sie wollen keine „Checks and Balances“, deswegen hetzen sie gegen Qualitätsmedien. So sind Journalistinnen und Journalisten zur Zielscheibe geworden.

Eine Empfehlung von Ihnen ist es, dem Hass mit Medienkompetenzkunde zu begegnen. Wer sollte die Medienkompetenz vermitteln und wie bewerten Sie die Initiativen der Medienanstalten gegen „Hate Speech“?

Die BLM und das bayerische Justizministerium haben die Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ 2019 gegründet.

Medienkompetenzkunde ist eine Aufgabe der Bildungspolitiken der Länder: Sie sollte ein Standard an den Schulen sein, und zwar in allen Altersklassen. Die Kids kennen ja schon vieles – Clickbait, Cybermobbing, Kettenbriefe, Fake. Sie müssen lernen, damit umzugehen.

Dabei sollten Experten helfen, die Erfahrung mit Medien haben, also Journalistinnen und Journalisten, Institutionen wie die Öffentlich-Rechtlichen und die Landesmedienanstalten, aber hoffentlich auch Blogger und Influencer, die ein junges Publikum adressieren.

Die Initiativen der Medienanstalten gegen Hate Speech, auch und gerade das Modell der BLM, sind substantiell. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wer Journalistinnen und Journalisten vor Gewalt schützen will, wie es sich das ECPMF zur Aufgabe gemacht hat, muss Aufrufe zur Gewalt bekämpfen und ist dankbar für entsprechende Initiativen.

Ich wünschte, man könnte das bayerische Vorgehen auch auf so manchen europäischen Politiker anwenden.

Zur Person:

Dr. phil. Lutz Kinkel, ist Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig. Kinkel studierte Geschichte, Politik und Betriebswirtschaft in Hamburg. Während und nach dem Studium schrieb er als freier Journalist über Politik und Medien für die Zeit, den Tagesspiegel, Spiegel-Online und andere. Zwischen 2005 und 2016 arbeitete Kinkel für den stern, zuletzt als Leiter Online des Berliner Büros.

Weitere Informationen:

Die Veranstaltung „Wird Journalismus zur Mutprobe?“ Auswirkungen von Hass – im Netz und auf der Straße“ hat am 24. Juli 2021 auf Einladung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) und des bayerischen Justizministeriums im Rahmen der Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ stattgefunden. Präsentationen und mehr Informationen dazu finden Sie hier.

 

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