30.07
Serienboom: Gute Auftragslage für Synchronstudios
Serien-Nachschub ist stärker gefragt denn je. Doch Streaming-Fans müssen sich in Geduld üben, denn es gibt im Moment bei den Synchronisationsarbeiten einen regelrechten Stau. Vor allem bei Netflix-Produktionen fehlt die deutsche Tonspur, weil manche Studios coronabedingt schließen mussten. Stephan Kleinschmidt, Inhaber des Münchner Synchronstudios Speeech, über die wachsende Nachfrage, Geheimhaltungsklauseln und darüber, was eine gute Synchronisation ausmacht.
Synchronstudios an Kapazitätsgrenzen
Der Serienboom beschert den deutschen Synchronstudios eine sehr gute Auftragslage, denn immer mehr Stoffe müssen in kurzer Zeit für den deutschen Markt synchronisiert werden. Das bringt die Studios an ihre Kapazitätsgrenzen.
Eines davon ist das Münchner Unternehmen Speeech – mit drei E’s. Geschäftsführer ist Stephan Kleinschmidt. „Der überwiegende Teil des Publikums schaut lieber die deutsche Fassung als das englischsprachige Original“, sagt der Inhaber, der sein Unternehmen 2010 gründete. Heute gehören viele deutsche TV-Sender sowie große Studios wie NBC Universal, Turner und Sony zum Kundenportfolio.
Deutschland gilt als Erfinderland der Synchronisation. Sie kam 1949 nach Deutschland und wurde in Zusammenarbeit mit Hollywood entwickelt. Inzwischen spielt sich das Hauptgeschehen in Berlin ab. Viele Majors und vor allem die neuen digitalen Plattformen haben ihre Aufträge in den vergangenen Jahren in die Hauptstadt vergeben, weshalb in einigen Studios inzwischen im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet wird, um das Auftragsvolumen bewältigen zu können.
Deutscher TV-Markt funktioniert anders
Dennoch musste den Streaminganbietern erst einmal klar gemacht werden, dass der deutsche Markt anders funktioniert als der Rest. Hier geht es nicht ohne Synchronisation – und die kostet sowohl Zeit als auch Geld. „Dabei ist die Qualität entscheidend, um die Zuschauer zu binden“, ist sich der Firmengründer von Speeech sicher.
In Skandinavien dagegen wird fast nur im englischen Original geschaut, in osteuropäischen Ländern arbeitet man oftmals mit Voice-Over – da spricht eine männliche Stimme alle männlichen Rollen. Das wäre für den hiesigen Markt ein No-Go. „Die Streamer hätten hier nicht ohne qualitativ hochwertige deutsche Synchronfassungen Fuß fassen können“, sagt Kleinschmidt, in dessen Studios an der Münchner Zielstattstraße unter anderem die deutsche Synchronfassung der Netflix-Serie „Good Girls“ und die Staffeln der Zeichentrickserie „Rick and Morty“ entstehen.
Synchronstudios haben einiges zu leisten, wenn das Endprodukt gut aussehen soll. Andernfalls hagelt es in den einschlägigen Foren negative Kommentare. „Wenn das Synchron-Team seinen Job gut macht, verschmilzt die Sprache mit dem Bild und es gehen weder Wortwitz und Dialoge noch Aussage und Wirkung des Originals verloren“, erklärt Kleinschmidt. Etwa zehn Mitarbeiter sind vier bis fünf Wochen beschäftigt, um für einen Spielfilm eine deutsche Tonspur zu erstellen.
Dialoge lippensynchron schreiben
Eine entscheidende Rolle spielt die Auswahl der Stimmen. „Unser Aufnahmeleiter recherchiert die Stammstimmen und prüft deren Verfügbarkeit“, so Kleinschmidt. Parallel wird das Dialogbuch erstellt. „Die größte Herausforderung dabei ist, die Dialoge lippensynchron und gleichzeitig in gutem Deutsch zu schreiben“, so der Experte.
Der Sprachrhythmus muss zur Mimik passen. Ein Regisseur führt das Team aus Schauspielern durch die Aufnahme und gibt Hinweise, wo lauter oder leiser gesprochen werden muss, der Tonmeister achtet auf die Akustik. Am Ende wird das Material „Framegenau“ auf die Lippenbewegungen geschnitten und mit Musik und Geräuschen gemischt.
Geheimhaltung ist enorm wichtig
Eine der größten Herausforderungen neben dem Preisdruck in der Branche ist das Thema Geheimhaltung. Es werden sehr große Anstrengungen unternommen, damit nichts durchsickert. „‘Rick and Morty‘ ist eines unserer sensibelsten Projekte, da es im Netz eine so große Fangemeinde gibt“, sagt der Firmenchef. Früher durften die Autoren die Dialogbücher zuhause schreiben, heute ist das nur noch in den Räumlichkeiten von Speeech möglich.
Jeder Schreiber hat einen eigenen Raum zur Verfügung und muss vorher sein Handy abgeben. Verwendet werden ausschließlich PCs, die keine USB-Schnittstelle haben. Alle am Projekt beteiligten müssen eine Geheimhaltungserklärung unterschreiben. Sicher ist sicher. „Die drohenden Konventionalstrafen würden an die Existenz der Firma gehen“, betont der Speeech-Geschäftsführer. Ganz abgesehen vom Imageschaden.
Er geht davon aus, dass die Anforderungen in den nächsten Jahren noch strenger werden, deshalb hat der Unternehmer letztes Jahr umfangreich in die IT-Technik investiert und ist seitdem durch das von den US-Majors und Produzenten ins Leben gerufene Trusted-Partner-Network TPN zertifiziert. So werden Datenleaks, Datenmissbrauch und Hacks von Filmen und Fernsehsendungen vor deren Veröffentlichung verhindert.
Rechnen im Herbst mit Auftragsdelle
In Studios, die für Kinofilme deutsche Tonspuren erstellen, ist es inzwischen Usus geworden, dass die Sprecher vor einem schwarzen Bild sitzen, das gar nichts oder nur einen kleinen Ausschnitt mit dem Mund des zu synchronisierenden Schauspielers zeigt.
Und während bei Speeech auch in den vergangenen Wochen und Monaten durchgehend – und zwar dezentral – gearbeitet wurde, werden die Mitarbeiter wohl nach dem Sommer ihren Urlaub nachholen können. „Wir rechnen aufgrund der US-Drehpause voraussichtlich im Herbst mit einer Delle“, sagt Kleinschmidt. Erst dann wird sich der Stillstand an den Hollywood-Sets auf den Münchner Betrieb auswirken.
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