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20.11

Digitale Medien pädagogisch sinnvoll einsetzen – ein Gespräch mit Roberto Simanowski

von Elena Lorscheid unter Medienkompetenz

Den Pauschaleinsatz moderner Technik im Unterricht bezeichnet Prof. Dr. Roberto Simanowski als „billigen Trick“. Der Medien- und Kulturwissenschaftler, der am 8. November 2018 auf der 24. Fachtagung des Forums Medienpädagogik der BLM über Bildung und Digitalisierung sprach, vertritt eine klare Linie: Digitale Medien sollten in der Schule nur da eingesetzt werden, wo es pädagogisch und didaktisch sinnvoll ist. Und vor allem: Es geht auch darum, über sie zu reden, nicht nur mit ihnen zu arbeiten.

blmplus: Über den Einsatz digitaler Medien in Schulen wird derzeit eine breite öffentliche Diskussion geführt. Welche Chancen und Gefahren sind damit verbunden?

Simanowski

Medienwissenschaftler Prof. Dr. Roberto Simanowski

Roberto Simanowski: Die Schule des 21. Jahrhunderts kann sich nicht im Leitmedium des 19. Jahrhunderts verschanzen. Sie muss pädagogisch und didaktisch auch jene Technologien einbeziehen, die heute zentral für die Erfahrung der Schüler und Schülerinnen sind. Aber das sollte pädagogisch sinnvoll erfolgen. So kann man im Geschichtsunterricht historische Ereignisse durch „reenactment“-Projekte in Gestalt von Kurznachrichten am Handy lebendig werden lassen oder die Funktionsweise von Filterblasen und die Entstehung von Shitstorms natürlich am besten an konkreten Beispielen in den sozialen Netzwerken erörtern. Man sollte die neuen Medien einsetzen, wo es pädagogisch sinnvoll und didaktisch geraten erscheint.

Andererseits muss man bedenken, dass die digitalen Medien andere Kommunikationsbedingungen schaffen als das gedruckte Buch oder das konzentrierte Unterrichtsgespräch. Die Motivation sollte nicht durch billige Tricks wie den Pauschaleinsatz moderner Technik zur Gamification des Unterrichtsstoffes erfolgen, sondern durch pädagogisches Handwerk. Motivieren können Pädagogen auch technikfrei durch eine geschickte narrative Einbettung des zu behandelnden Themas.

Was halten Sie von der politischen Forderung „mehr Lehrer statt Tablets“?

Die Schule ist auch ein Ort, an dem die bisher entwickelten und für die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung zentralen Kulturtechniken vermittelt werden sollten, wie das konzentrierte Lesen komplexer Texte und das geduldige Zuhören gegenüber längeren Ausführungen. Diese Techniken werden durch die neuen Medien bekanntlich nicht praktiziert. Die Schule ist einer der wenigen Orte, an dem diese Kulturtechniken gegen die Omnipräsenz der digitalen Technologien, die konkurrierende Kulturtechniken entwickeln, gepflegt werden können. Und dafür braucht es genügend Lehrer.

Wie lässt sich Digitalisierung im Unterricht verantwortungsbewusst gestalten? 

Man muss sich zunächst über Interessenlagen klar werden. Wer hat das größte Interesse an der Digitalisierung: die Lehrer oder die IT-Unternehmen? Eine zweite Frage ist, welche Ziele sich die Schule setzt. Will sie nur gute Fachkräfte für den Arbeitsmarkt »Industrie 4.0« produzieren, was der Begriff »Bildung 4.0« vermuten lässt?

Oder will sie kritische Bürger erziehen, die in der Lage sind, die kulturellen Folgen der gesellschaftlichen Digitalisierung zu reflektieren? In letzterem Falle muss man über das Erlernen der Funktionsweise digitaler Medien hinausgehen und auch über sie reden, was nicht per se den Einsatz digitaler Medien als Unterrichtsmittel voraussetzt.

Zur Person:

Prof. Dr. Roberto Simanowski studierte Deutsch und Geschichte auf Lehramt, promovierte 1996 in der Literatur- und habilitierte 2011 in der Medienwissenschaft. Seine Forschungsgebiete sind Postmodernismus, Multikulturalismus, Ästhetik und Kultur digitaler Medien. Nach Forschungsaufenthalten an der Harvard University und University of Washington hatte er seit 2003 Professuren an der Brown University in Providence, USA, der Universität Basel und der City University of Hong Kong inne.

Er ist Gründer und Herausgeber des Journals für Kunst und Kultur digitaler Medien dichtung-digital (1999-2014) und schreibt für ZEIT ONLINE und NZZ. Er ist Autor von 11 Monografien, darunter: Digitale Medien in der Erlebnisgesellschaft. Kultur – Kunst – Utopie (Rowohlts Enzyklopädie 2008), Abfall. Das alternative ABC der neuen Medien (Matthes & Seitz 2017; zugleich MIT Press 2018), Stumme Medien. Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft (Matthes & Seitz 2018) und Das Ende der Kreidezeit (Artikel in der NZZ vom 23. Juli 2018).

Infos zur Veranstaltung:

Im Fokus der 24. Fachtagung des Forums Medienpädagogik der BLM stand das Thema „Digitalisierte Bildung – Automatisierte Kinder? Neue Medien in Bildungsprozessen“. Die Fachtagung zeigte, wie digitale Medien Lernprozesse verändern können und welche altersbezogenen Kompetenzen junge Menschen für die Nutzung mitbringen sollten. Expertinnen und Experten gaben den Besuchern Tipps zum reflektierten Einsatz von Medien im pädagogischen Alltag.

 

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