23.10
Tele-Visionen: Zur Zukunft der bewegten Bilder
Der Fernsehmarkt ist im Umbruch: Streaming-Dienste und Video on demand verändern die Welt der audiovisuellen Angebote so nachhaltig, dass sich das klassische Fernsehen anpassen muss. Die tendenz 2.2019 beschäftigt sich mit der Zukunft der bewegten Bilder, die auch auf den MEDIENTAGEN MÜNCHEN 2019 eine große Rolle spielen wird. Hier schon mal ein Einblick ins Titelthema (Autor: Matthias Kurp) der aktuellen Ausgabe.
Fernsehmarkt am Wendepunkt
Der Fernsehmarkt, vor allem die werbefinanzierte Free-TV-Branche scheint an einem Wendepunkt angekommen zu sein. Der jahrelange Aufschwung ist gebremst: Nach Angaben des Spitzenverbands der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) sind die Netto-Werbeerlöse 2018 im Vergleich zum Vorjahr um 1,2 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro gesunken.
Auch die Reichweite des klassischen Fernsehens geht zurück, vor allem bei den jüngeren Nutzern. Erste audiovisuelle Medienerfahrungen machen die Jüngsten schon früh per Smartphone oder Tablet: mit Videos auf YouTube, Facebook-Filmchen, Instagram Stories, twitch.tv oder YouNow und natürlich auch mit den Streaming-Diensten Netflix oder Amazon Prime.
Schauten Kinder im Alter zwischen 3 und 13 Jahren vor zwanzig Jahren pro Tag noch knapp hundert TV-Minuten, beträgt ihre Sehdauer heute täglich nur noch etwa eine Stunde, und die TV-Reichweite dieser Zielgruppe ging laut Daten der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung von 62 Prozent im Jahr 2000 auf 44 Prozent im vergangenen Jahr zurück. Bei den 14- bis 29-Jährigen ist die tägliches TV-Sehdauer zwischen 2007 und 2018 von 133 auf 94 Minuten gesunken.
Wachsende Beliebtheit von Video-Streaming
Immer beliebter wird dagegen der Konsum bewegter Bilder über das Internet. Dass 2018 laut ARD/ZDF-Onlinestudie die tägliche Internet-Nutzungsdauer im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Drittel auf 196 Minuten gestiegen ist, wird vor allem der wachsenden Beliebtheit von Video-Streaming zugeschrieben.
Die Ausdifferenzierung der Lebensstile und das große Spektrum von audiovisuellen Angeboten im Internet haben zu einer Fragmentierung des Publikums geführt. Als Folge nimmt die individuelle und zeitunabhängige Nutzung von Bewegtbildangeboten zu: Immer mehr Zuschauer wollen selbst bestimmen, was sie wie, wann und wo sehen, und zwar unabhängig vom Bildschirm im heimischen Wohnzimmer.
Wenn Internet und TV nur einen Knopfdruck entfernt liegen
Die TV-Branche hat aber viele Optionen dank der Verbindung von Fernseh- und Internetwelt: Erstens wird das Erlebnis Fernsehen dank neuer Technologien wie HD-, 3D- oder UHD-TV (siehe Artikel »UHD als Nonplusultra?«) in seiner Bild- und Tonqualität sukzessive verbessert. Zweitens können moderne Smart-TV-Geräte die Welten von Fernsehen und Internet auf intelligente Art miteinander verbinden (siehe Artikel »HbbTV erobert smart den Massenmarkt«). Drittens lässt sich die Wertschöpfungskette des klassischen Fernsehens durch Mediatheken und Streaming-Angebote in die Online-Sphäre verlängern.
Die monatlich kündbaren Abo-Modelle der Streaming-Anbieter Netflix und Amazon haben dazu geführt, dass die Zahlungsbereitschaft der Kunden gewachsen ist. Werden die Nutzer*innen in Zukunft zusätzlich zum Netflix- oder Amazon-Abo Geld für weitere Anbieter ausgeben? Werden sie noch mehr Serien schauen und noch anfälliger für Binge Watching (engl. binge =Gelage) werden? Branchen-Experten warnen bereits vor einem »Content Overflow«.
Der Streaming-Markt unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt vom TV-Markt: Video-on-Demand-Anbieter wollen und können gar nicht konkurrieren mit Live- Events, TV-Journalismus, Talk-Formaten, Service-Magazinen oder Shows des linearen Fernsehens. Entscheidend für Netflix und Amazon ist nicht, wie viele Menschen zeitgleich eine Sendung sehen, sondern wie viele Kunden bereit sind, Streaming-Angebote zu abonnieren. Netflix und Amazon Prime bieten deshalb ein ausgefeiltes Serien-Storytelling mit vielen Handlungssträngen, horizontalen Erzählstrukturen und kontroversen Themen (siehe Artikel „Jenseits von Krimi und Komödie“).
Neue Regulierung im Medienstaatsvertrag
Trotz vieler Unterschiede treffen TV-Programmanbieter und Streaming-Dienste im Wettbewerb an einem Punkt unmittelbar aufeinander: Sie kämpfen um die Aufmerksamkeit und das Zeitbudget der Zuschauer. Ordnungspolitisch gibt es aber einen gewaltigen Unterschied. Streaming-Portale werden ordnungspolitisch bislang wie Individualkommunikation behandelt, für die weder unter Vielfaltsgesichtspunkten noch in Bezug auf Werbebeschränkungen Limitierungen gelten. Zugleich begegnen sich aber streng regulierte (lineare) Fernsehprogramme und weitgehend von Auflagen befreite (nonlineare) Streaming-Inhalte immer häufiger auf demselben Bildschirm und kämpfen um dasselbe Zeitbudget zur Mediennutzung.
Der neue Medienstaatsvertrag soll in diesem Bereich zu mehr Chancengleichheit führen, wie der bayerische Medienminister Dr. Florian Herrmann im Interview mit tendenz erläutert. Darin geht er auch auf die spezielle Problematik der Livestreams ein, die bisher unter bestimmten Voraussetzungen eine Rundfunkgenehmigung brauchten.
Wer jetzt neugierig geworden ist, findet die aktuelle tendenz zur Zukunft der bewegten Bilder hier. Natürlich gibt es auch wieder einen Film zur „Zukunft der bewegten Bilder“.