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29.04

Start-up with Ethics – nachgefragt bei Prof. Petra Grimm

von Bettina Pregel unter Netzwelt

Wie können Start-ups schon im Gründungsprozess ethische Überlegungen einbeziehen? Zum Beispiel mit Hilfe des Workbooks „Start-up with Ethics“. Es ist im Rahmen eines Forschungsprojektes des Instituts für Digitale Ethik an der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM) im Auftrag der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) entstanden. blmplus hat mit Projektleiterin Prof. Dr. Petra Grimm im Vorfeld der Online-Präsentation am 30. April 2021 gesprochen.

blmplus: Ein Ethik-Kompass für den Weg zu einem werteorientierten Start-up: Wieso ist so etwas notwendig?

Prof. Dr. Petra Grimm und ihr Team von der HdM Stuttgart haben das Workbook entwickelt. Foto: HdM

Prof. Dr. Petra Grimm: Ethische Fragestellungen sind für die Wirtschaft von herausragender Bedeutung – diese Einsicht setzt sich immer mehr durch. Schon bei der Gründung eines Unternehmens sind ethische Überlegungen mitentscheidend für das Funktionieren des Geschäftsmodells. Von Unternehmen im Digitalsektor und in der Medienbranche wird zunehmend erwartet, dass sie ethische Standards umsetzen. Das betrifft auch Start-ups.

Es lässt sich eine Trendwende zu mehr Ethik, einem „ethical turn“, erkennen. Ethik wird mehr und mehr als Wettbewerbsfaktor, als USP, verstanden. Dies hat u.a. schon die BVDW-Studie (2018) gezeigt: 72 Prozent der Bundesbürger würden solche Produkte oder Services bevorzugen, die so geplant sind, dass sie sich bei ihrer Entscheidungsfindung an nachvollziehbaren ethischen Standards orientieren. Im Gegenzug geben 71 Prozent der Digitalunternehmen an, dass diese auch potenziell erfolgreicher im Markt seien.

„Unternehmen, die Ethik ignorieren, sind nicht zukunftsfähig“

Gilt dieser Kompass nur für Start-ups oder können sich alle (Medien)unternehmen etwas davon abschauen?

Zuerst einmal: Start-ups haben einen Vorteil gegenüber großen Unternehmen: Sie können ihr Geschäftsmodell und ihre Produkte dank ihrer flachen Hierarchien und schnellen Umsetzungsfähigkeit viel schneller an ethische Standards anpassen. Ebenso können sie schon im Gründungsprozess ihren ethischen Wertehorizont definieren.

Aber nicht nur Start-ups, alle (Medien-)Unternehmen sind in der Lage, ihre Core-Story, ihre Sinn-Erzählung, ihren Wertehorizont, ihre Netzwerke und ihre operative Ebene mit einem Ethics by Design-Ansatz zu überprüfen. Im Übrigen bin ich der festen Überzeugung, dass Unternehmen, die heute Ethik und Nachhaltigkeit ignorieren, auf Dauer nicht zukunftsfähig sind.

Können Sie uns ein konkretes Beispiel für die werteorientierte Ausrichtung im Gründungsprozess eines Start-ups geben?

Wir haben die SEC-Methode (Start-up-with-Ethics-Compass) entwickelt. Damit kann jedes Start-up schon in der Gründungsphase arbeiten. Ein Beispiel finden Sie in unserem Workbook. Dort wird anschaulich beschrieben, wie ein Start-up eine Nanny-App entwickelt: Die Gründer:innen müssen ihre Core-Story entwickeln, sich mit ihren Wertekonflikten auseinandersetzen und die verschiedenen Perspektiven der Zielgruppen, zum Beispiel der Nannys und der Eltern, einnehmen. Dabei zeigt sich, dass die Nannys nicht überwacht werden wollen, die Eltern hingegen wünschen sich möglichst umfassende Kontrollmaßnahmen zur Sicherheit ihrer Kinder. Beispielhaft wird gezeigt, wie die Gründer:innen mit Hilfe der SEC-Methode solche Konflikte meistern und letztlich auch in der operativen Phase richtig entscheiden. Wertekonflikte im Team, mit Kund:innen und Investor:innen werden ebenso anschaulich dargestellt.

Schritt-für-Schritt-Anleitung, um Ethik im Geschäftsmodell zu verankern

Warum ist für diesen Kompass die Form eines Workbooks gewählt worden?

Das Workbook führt die Start-ups Schritt für Schritt durch die ethischen Fragestellungen beim Prozess der Geschäftsmodell-Entwicklung. Die SEC-Methode verwendet vor allem auch narrative Werkzeuge und bleibt so immer nahe an den Erfahrungsgeschichten der Gründer:innen und ihrer Stakeholder.

Das Workbook „Start-up with ethics“ ist gewissermaßen das „Kochrezept“ zu dieser Methode. Gründer:innen und Start-up-Teams können Schritt für Schritt die vorgestellten Tools nutzen und so Ethik in ihrem Geschäftsmodell verankern. Die Worksheets zum Download bzw. Kopieren helfen dabei. Die aufwendigen Illustrationen machen das Arbeiten damit zum Vergnügen. Das Buch und die SEC-Methode sind im übrigen anschlussfähig an die Methode der „Business Model Generation Canvas“, die von vielen Start-ups genutzt wird.

In welcher Weise sind Start-ups und Unternehmen in die Entwicklung des Workbooks einbezogen worden?

In Fokusgruppen und narrativen Einzelinterviews mit Start-ups und Gründer:innen haben wir erforscht, wo genau in den Prozessen der Gründung und der Geschäftsmodell-Entwicklung ethische Fragestellungen relevant werden, wo Konfliktpotenzial besteht und schwierige Werte-Entscheidungen getroffen werden müssen. Unsere Studie hat gezeigt, dass die Start-ups praktische Qualifizierungsbedarfe haben. Wir haben sie auch nach ihrer Meinung zu dem Workbook gefragt, ihre Empfehlungen umgesetzt und viele positive Feedbacks bekommen.

Infos zur Veranstaltung:

Das Workbook „Start-up with Ethics“ wird am Freitag, 30. April 2021, von 11.00- 12.15 Uhr online präsentiert. Um Anmeldung wird gebeten. Den Link zum Livestream gibt es hier. Nach der Vorstellung des Worksbooks gibt es noch eine Diskussionsrunde mit Start-ups, Prof. Dr. Petra Grimm, Pia Lexa vom Media Lab Bayern und Verena Weigand, Bereichsleiterin Medienkompetenz und Jugendschutz bei der BLM.

Als Auftraggeberin des Forschungsprojektes sind der BLM vor allem Nutzerschutz und die Wertefrage wichtig. Dazu Verena Weigand: „Jugend- und Nutzerschutz in den Medien spielen in der Arbeit der BLM eine zentrale Rolle. Das ist angesichts der voranschreitenden Digitalisierung sogar noch wichtiger geworden als früher. Das Thema ist auch verknüpft mit der Frage nach Werten, Zuverlässigkeit und Vertrauen. Wie aber begegnen Medienunternehmen der Frage nach ihren Werten – oder auch ihrer Nachhaltigkeit? Aus diesen Überlegungen entstand vor zwei Jahren unser Forschungsprojekt, in dem untersucht wurde, wie ethische Überlegungen und Standards von Anfang an, also „by design“, in den Gründungs- und Geschäftsprozess von Unternehmen einfließen können.“

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