26.10
Medien in der Corona-Krise: Tendenz 2.20 erschienen
Die Corona-Pandemie hat das Alltags- und Berufsleben nach wie vor fest im Griff. Mit den Auswirkungen auf die Medienbranche beschäftigt sich die aktuelle Ausgabe des Tendenz-Magazins. Die Krise bedeutet für die Medienunternehmen nicht nur eine wirtschaftliche Herausforderung, sondern auch eine Chance, das Kreativ- und Innovationspotenzial auszuschöpfen. „Kreativ“ im Aufbau von Mythen sind auch die Verschwörungstheoretiker. Giulia Silberberger, Geschäftsführerin von „Der goldene Aluhut“, sieht in der Tendenz 2.20 nur einen Weg, dem zu begegnen: das Vertrauen in den seriösen Journalismus zu stärken.
Bill Gates als Züchter des COVID19-Virus und Regierungen, die den Impfzwang einführen wollen – die Corona-Krise hat sich als Einfallstor für Verschwörungsmythen erwiesen. Alternative Fakten verbreiten sich im Netz rasend schnell und treffen auf verunsicherte Medienrezipienten.
Schon zu Beginn der Corona-Pandemie, als im Januar 2020 die ersten Meldungen über eine ominöse Lungenkrankheit aus China in den Medien die Runde machten, zeigte sich das verschwörungsideologische Potenzial, das das neuartige Coronavirus mit sich brachte. Mit zunehmender Gefahrenlage und Ausbreitung der Krankheit verschärften sich auch die Mythen, Verschwörungserzählungen und die Desinformation rund um COVID19.
Selbsternannte Experten traten auf den Plan, um die Gefährlichkeit des Virus herunterzuspielen. Musiker weinten in Kameras über in geheimen Tunneln gehaltene Kinder, und vegane Kochbuchautoren kündigten auf ultrarechten Demos an, der nächste Reichskanzler zu werden, um dieses Land von der Knechtschaft der sogenannten Eliten zu befreien. Doch wir sind nicht die ersten Menschen, die sich mit Verschwörungserzählungen in Krisenzeiten konfrontiert sehen – und wir werden vermutlich auch nicht die letzten sein.
Verschwörungserzählungen schöpfen aus Pool der Desinformation
Während die seriöse Wissenschaft Zeit braucht, um verlässliches Wissen zu schaffen, schöpfen Verschwörungserzählungen aus einem seit Jahren bestehenden Pool der Desinformation – und treffen auf verunsicherte Menschen, die auf der Suche nach Antworten zur aktuellen Krisenlage sind. Menschen, die durch die Pandemie verängstigt sind, ihres Sicherheitsempfindens beraubt wurden und ihre Existenzen in Gefahr sehen. Dass die weltweite Wirtschaft unter der aktuellen Lage leidet und viele Jobs verloren sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Jedoch steckt dahinter kein zwielichtiger Plan einer geheimen Schattenregierung, sondern es ist eine Auswirkung der Krise selbst. Doch für viele ist es eine emotionale Entlastung, die Schuld für die Lage auf jemanden schieben zu können, der greifbar ist.
Fake News sind nur eine Vorstufe
Diese Narrative werden natürlich auch von Menschen gelesen, gehört, gesehen und weiter geteilt, die möglicherweise nie gelernt haben, ihre Quellen zu prüfen oder Meldungen aus dem Internet mit einer gewissen Skepsis zu begegnen. Eine Studie der Columbia-University von 2016 zeigte, dass 59% der Twitter-User Inhalte gar nicht lesen, bevor sie sie teilen. Wird man von einer Headline angesprochen und/oder bestätigt sie die eigene Denkweise, ist der Beitrag schnell geteilt, ohne nachzuprüfen, was sich dahinter möglicherweise verbirgt. Dieses Phänomen ist als »Sharebait« bekannt. So verbreiten sich nicht nur seriöse Nachrichten, sondern auch »alternative Fakten« (Fake News) und Verschwörungstheorien im Netz rasend schnell.
Fake News sind nicht zwangsläufig mit Verschwörungsideologien gleichzusetzen, auch wenn sie die Vorstufe zu ihnen sind und die »Argumente« für die übergeordnete Erzählung liefern. Vielmehr müssen wir Falschmeldungen als die Bausteine betrachten, aus denen Verschwörungsmythen zusammengesetzt sind. Sie sind wie Mosaik-Steinchen, die erst mit etwas Abstand betrachtet ein Bild ergeben, das eine Weltverschwörung zeigt. Während klassische Verschwörungsideologien meist als solche erkennbar sind und das Gesamtbild der vermeintlichen Verschwörung mit Buzzwords wie »die Elite« oder »das System« offen propagandieren, erwecken Fake News nicht selten den Anschein des investigativen Journalismus.
Wache Community contra schlafende Gesellschaft?
Es verwundert somit auch nicht, dass verschwörungsideologische Social Media-Gruppen und Kanäle seit Aufkommen der Pandemie einen vergleichsweise hohen Zulauf erfahren. Personen, die von Falschmeldungen geködert wurden und sich weiterführende Informationen im Internet erhoffen, treffen auf eine Community, die ihr Eintreffen bereits erwartet. Eine Community, die es als ihren Auftrag ansieht, die Gesellschaft aufzuwecken. Das Internet mit seinen Möglichkeiten der Multiplikation ist hier ein probates Mittel, Menschen zu erreichen, die man sonst nicht erreichen würde. Social Bots tragen Fake News, Videos und tendenziöse Sharepics auch in den entlegensten Newsfeed.
Diese Strategie geht auf. Anfang und Ende August gingen in Berlin zehntausende Menschen auf die Straße, um gegen Schutzmaßnahmen zu demonstrieren, die uns die vergangenen Monate in diesem Land vor dem Schlimmsten bewahrt haben. Eine Bewegung, die im Internet ihre volle Wucht entwickelte und durch die Vernetzung mit Social Media erst möglich wurde.
Medien, Politik und jeder Einzelne ist gefordert
Fundierte, unaufgeregte und sachliche Berichterstattung sind daher wichtiger denn je. Das Vertrauen in seriösen Journalismus, der die so wichtige Gatekeeper-Funktion einnimmt, muss gefördert werden. Saubere, journalistische Arbeit fängt im Detail an, zum Beispiel bei klar gekennzeichneten Symbolbildern, und sollte transparent sein. Eine klare Abgrenzung von unseriöser Berichterstattung und »alternativen Fakten« muss von Medienkonsumenten leistbar sein, aber auch von Medienschaffenden klar erkennbar geliefert werden. Die Aufgabe, den Verschwörungserzählungen in der Gesellschaft wieder ihren unverdienten Einfluss zu nehmen, ist eine gesamtgesellschaftliche. Medien, Politik, aber auch jeder einzelne von uns sind hier gleichermaßen gefordert.
Mehr interessante Artikel wie das Titelthema „Die Krise als Chance?“, einen Erfahrungsbericht zu Sendern im Homeoffice, die Frage nach der Mediennutzung während der Pandemie, ein Gespräch mit Verena Pausder zur Digitalen Bildung für alle und einen Bericht über digitale Events finden Sie in der neuen Tendenz. Wer die Tendenz weiterhin als Printmagazin beziehen möchte und zusätzlich auch online, sollte sich an unserer Abfrage unter www.blm.de/tendenzlesen beteiligen.
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