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08.05

Bildungsträger müssen Jugendliche über Mechanismen im Netz aufklären

von Wolfgang Schweiger unter Netzwelt

Am 16. Mai findet die 4. Fachtagung Jugendschutz und Nutzerkompetenz zum Thema „#Politainment – Wie bilden sich Jugendliche eine Meinung?“ #politainment18 statt. Wir haben Prof. Dr. Wolfgang Schweiger, Spezialist für interaktive Medien- und Onlinekommunikation an der Universität Hohenheim, um einen Ausblick auf seine Keynote gebeten.

Journalismus, Öffentlichkeit und Demokratie im tiefgreifenden Wandel – ein Problemaufriss

Lange Zeit galt das Internet als große Hoffnung für die Demokratie. Wenn die Bürger perfekt informiert sind und sich online frei artikulieren und austauschen können, so die Annahme, sollte das die Demokratie revitalisieren. In den letzten Jahren reden wir allerdings häufiger über die Bedrohung der Demokratie durch Hasskommentare, Trolle, Fake News, Populismus und die Polarisierung der Gesellschaft – die Stichworte Trump, AfD und Brexit mögen genügen.

Nachrichten und Informationszugänge ändern sich

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Prof. Dr. Wolfgang Schweiger / Bild: Universität Hohenheim

Eine Erklärung für diese Entwicklung liegt in einem sich verändernden Nachrichten- und Informationszugang in Teilen der Bevölkerung. Nicht nur die Jüngeren, auch Mitglieder der Bildungsmitte (inklusive Niedriggebildete) beziehen ihre Nachrichtendosis zunehmend über soziale Medien – allen voran Facebook. Dort aber gelten andere Regeln der Nachrichtenauswahl als in journalistischen Redaktionen. Facebook und Co. erfassen alle Präferenzen ihrer Nutzer (Big Data) und zeigen ihnen Inhalte von Freunden, passenden Medien und sonstigen Akteuren an. Das funktioniert dank leistungsfähiger Algorithmen immer besser. Wenn dazu auch (rechts)alternative Medien wie die „Epoch Times“, die „Sputnik News“ oder „RT Deutsch“gehören – Facebook, YouTube oder google ist das egal, solange die Nutzer darauf klicken.

Filterblase schränkt Themen- und Meinungsspektrum ein

Das Resultat ist die von Eli Pariser beschriebene Filterblase: Wir alle sehen auf Facebook überwiegend Inhalte und Nachrichten, die unseren Interessen und Einstellungen entsprechen. Menschen, die sich überwiegend in sozialen Medien informieren, bekommen somit nicht mehr das gesamte Themen- und Meinungsspektrum mit, geschweige denn einen integrierten Überblick über das Tagesgeschehen. Stattdessen sehen sie überwiegend einstellungskonforme Nachrichten und Meinungsäußerungen. Kein Wunder, dass sie den traditionellen Medien nicht mehr vertrauen, wenn deren Weltbild dem eigenen allzu sehr widerspricht. Dass der journalistischen Berichterstattung – auch der im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – in den letzten Jahren viele Fehler und Einseitigkeiten nachgewiesen wurden, kommt verschärfend hinzu.

Es bildet sich eine Erosion der politischen Informiertheit

So entsteht bei vielen Bürgern die (Fehl-)Wahrnehmung einer feindlichen und realitätsfernen Lügenpresse. Denn fast alle Facebook-Nachrichten bestätigen ihre politische Meinung, und fast alle um sie herum sagen dasselbe wie sie. Das führt zu einer Erosion der politischen Informiertheit. Und es lässt Bürger glauben, ihr Meinungslager sei das Dominierende – auf Pegida-Deutsch: „das Volk“. Menschen, die sich mit ihrer Einstellung in der Bevölkerungsmehrheit wähnen, äußern ihre Meinung häufiger und klarer. Die Lager schaukeln sich in ihren Filterblasen auf, und die in den dortigen Resonanzräumen geäußerten Meinungen werden immer lauter und extremer.

Auch wenn sich die Anzeichen für eine Polarisierung der Gesellschaft auch in Deutschland mehren, ist es hier noch nicht so weit wie in den USA. Noch immer nutzen die meisten Deutschen traditionelle, nicht-personalisierte Nachrichtenangebote. Ein unabhängiger, weitgehend ausgewogener Journalismus ist das beste Gegenmittel gegen die Filterblase und ihre Gefahren. Journalistische Nachrichten bieten Bürgern einen Überblick über das Tagesgeschehen über politische Meinungslager hinaus. Und nur sie vermitteln – meistens – ein halbwegs korrektes Abbild des Meinungsklimas in der Bevölkerung. Damit schützen sie einzelne Meinungslager vor entsprechenden Fehlwahrnehmungen.

Journalismus kann nicht die einzige Lösung sein

Natürlich kann der Journalismus nicht die einzige Lösung sein. Alle Bildungsträger stehen in der Pflicht, Kinder, Jugendliche und Erwachsene über die Mechanismen im Netz aufzuklären und für die Gefahren zu sensibilisieren. Das wird nicht von heute auf morgen wirken. Damit sind auch die großen Online-Unternehmen wie Facebook, Google und Apple aufgerufen, mit ihren Technologien verantwortungsvoller umzugehen und sich aktiv an der Medienbildung der Bürger zu beteiligen.

Am 16. Mai spricht Prof. Dr. Schweiger über den Einfluss von Social Media-Angeboten auf die Meinungsbildung bei der 4. Fachtagung Jugendschutz und Nutzerkompetenz „#Politainment – Wie bilden sich Jugendliche eine Meinung?“.  Alle Informationen zur Veranstaltung gibt es hier.

 

Kurzbiographie: Prof. Dr. Wolfgang Schweiger

Professor für Kommunikationswissenschaft, Universität Hohenheim

Geboren 1968 in München. Studium der Kommunikationswissenschaft, Politik und Rechtswissenschaft an der Universität München; dort auch Promotion und Habilitation. Aufenthalte an der Universität Zürich und der Katholieke Universiteit Leuven, Belgien. Langjähriger erster Sprecher der Fachgruppe ‚Computervermittelte Kommunikation‘ in der Deutschen Gesellschaft für Kommunikations- und Publizistikwissenschaft; Mitgründer des E-Journals ‚Studies of Communication & Media‘. 2007 bis 2009 Vertretungs-Professor an der Technischen Universität Dresden. 2009 bis 2013 Professor für Public Relations und Technikkommunikation an der Technischen Universität Ilmenau. Seit 2013 Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft insb. interaktive Medien- und Onlinekommunikation an der Universität Hohenheim in Stuttgart.

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