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05.01

Desorientierung: Wie Desinformation auf Jugendliche wirkt

von Maria Monninger unter Jugendschutz Medienkompetenz Netzwelt

Wenn die orientierende Kraft der Eltern und verlässlicher Medien fehlt, droht bei Heranwachsenden Desorientierung. Wie sich Desinformation, Fake News und Verschwörungstheorien auf Kinder und Jugendliche auswirken, haben Maria Monninger (BLM) und Dr. Thomas Voß (MA HSH) im Jugendschutz- und Medienkompetenzbericht der Landesmedienanstalten 2022 analysiert. blmplus veröffentlicht Auszüge daraus.

Desorientierung durch Desinformation

Kinder und Jugendliche brauchen für ihr Aufwachsen und ihre Entwicklung die Orientierung an Werten wie Vertrauen,Verantwortungsbewusstsein, Fairness und Toleranz. Neben der „orientierenden Kraft“ der Eltern und weiterer „Sozialisationsinstanzen“ gibt es auch die „orientierende Kraft“ der Medien, wie sie Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichtes, in einer Festrede zur Verleihung des Otto Brenner-Preises 2013 beschrieben hat:

Es sei Aufgabe der Medien „als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung“ die für die Bürger notwendigen Informationen zu beschaffen und zu ihnen Stellung zu beziehen. Andererseits sollten sich Verleger, Herausgeber und Journalisten stets ihrer Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit bewusst sein. „Das Ethos des Journalisten gebietet ihm in erster Linie die Suche nach der Wahrheit und fordert ihn auf, die als wahr erkannten Tatsachen einer gewissenhaften und von äußeren Einflüssen unabhängigen Bewertung zu unterziehen.“

Die Einhaltung dieser journalistischen Standards bildet die Grundlage für verlässliche Medien. Desinformation und der Einsatz von Fake News sowie Verschwörungsmythen können Kinder und Jugendliche hingegen verwirren, irreführen und beeinträchtigen. Fehlen sowohl Orientierung bietende Eltern als auch verlässliche Medien, droht „Desorientierung“.

Konfrontation mit Fake News und Verschwörungsmythen

Viele Jugendliche kommen heute bei der Mediennutzung mit Fake News und Verschwörungsmythen in Berührung. Laut JIM-Studie 2020 berichtet fast die Hälfte der befragten 12- bis 19-Jährigen von extremen politischen Ansichten und Verschwörungstheorien, denen sie im Internet begegnet sind. 37 Prozent haben beleidigende Kommentare beispielsweise in Sozialen Netzwerken wahrgenommen und jede/-r Dritte ist auf Fake News gestoßen.

Mehr als jede/-r Zweite wurde im Zeitraum eines Monats mit Hassbotschaften konfrontiert. Auch Kinder sind bei ihrer Mediennutzung mit Problemen und Gefahren, vor allem im Internet, konfrontiert. Die KIM-Studie 2020 liefert aber keine Anhaltspunkte, dass Medieninhalte aus dem Bereich der Desinformation bereits bei Kindern ein Thema sind.

Dennoch: In Zeiten der Corona-Pandemie muss damit gerechnet werden, dass Heranwachsende aller Altersstufen, auch junge Kinder, in ihrem Alltag direkt oder mittelbar über Geschwister, Eltern oder Freunde mit Formen von Desinformation in Berührung kommen.

Über Pro und Contra von Maßnahmen wird intensiv und auch kontrovers diskutiert. Dies gilt besonders dann, wenn Kinder betroffen sind. Dies kann ein Einfallstor für Verschwörungsmythen und Fake News sein, wie folgendes Beispiel aus der Jugendschutzarbeit der Medienanstalten zeigt:

Beispiel Coronavirus – „Gefährliche Masken, Tests, Impfungen“

Verschwörungserzählungen und Fake News rund um das Coronavirus thematisieren vermeintliche Gefahren beim Maske-Tragen, Testen und Impfen. So wird in manchen Medien behauptet, das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes verursache Selbstvergiftungen, schädige das kindliche Gehirn oder könne bei Kindern zum Tod führen. Bezüglich der Corona-Tests wird von Gehirnverletzungen bei Nasen-Abstrichen und gefährlichen Chemikalien auf Teststäbchen berichtet.

Zudem wird von hohen Todeszahlen in Folge von Corona-Impfungen gesprochen und behauptet, dass die Regierung den Menschen mit den Impfungen schaden wolle. Somit ist hier eine grundsätzliche Ablehnung gegenüber Staat, Regierung und zentralen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu erkennen.

Das Coronavirus spielt im Alltag und in der Lebenswelt der heutigen Kinder und Jugendlichen eine große Rolle. Alle sind persönlich von der Pandemie betroffen und belastet. Kinder und Jugendlichen tragen tagtäglich Masken und machen Tests, Eltern und Großeltern werden geimpft, über die künftige Impfmöglichkeit für Kinder und Jugendliche wird gesprochen.

Aufgrund dieses großen Alltagsbezugs und der hochgradig emotionalen Besetzung des Themas ist bei Medienberichten rund um das Coronavirus von einer besonders starken Betroffenheit in Familien und somit bei Kindern und Jugendlichen auszugehen. Eltern und Kinder sind ohnehin verunsichert und haben Sorgen und Ängste. Medieninhalte, die Ängste und Zweifel schüren sowie Feindbilder schaffen, können eine verstärkende Wirkung haben.

Angst, Ausgrenzung und Hass

Das Beispiel zeigt: Verschwörungsmythen und Fake News transportieren oft Botschaften, die von Angst, Ausgrenzung, Hass und Gewalt, oft in Zusammenhang mit Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus, geprägt sind. Dies sind Medieninhalte, die für Kinder und Jugendliche grundsätzlich ohnehin problematisch sind. Dies gilt umso mehr, weil Fake News und Verschwörungsmythen aktuell drängende Fragen und Probleme aufgreifen, zu denen Kinder und Jugendliche in den Medien Orientierung suchen. Als Medienwirkung ist daher neben einer nachhaltigen Ängstigung insbesondere eine sozial-ethische Desorientierung zu befürchten.

Auch wenn Medieninhalte nie die alleinige Ursache für Einstellungen oder Verhaltensweisen von Menschen sind, so können sie doch verstärkend wirken, vor allem bei Kindern und Jugendlichen, da diese ihre Werte, ihr Welt- und Menschenbild erst noch ausbilden. Das gilt besonders für sogenannte „gefährdungsgeneigte“ Kinder und Jugendliche oder diejenigen, die als die Schwächsten und am wenigsten weit Entwickelten in ihrer Altersgruppe anzusehen sind. Im Zusammenhang mit Desinformation sind dazu Heranwachsende aus Elternhäusern zu zählen, in denen bereits eine „Verschwörungsmentalität“ vorhanden ist.

Jugendmedienschutz stark gefordert

Angesichts von Verschwörungsmythen und Fake News ist der Jugendmedienschutz stark gefordert, da die „orientierenden Kräfte“ der Eltern und der Medien nicht immer ausreichen. Bei der Medienerziehung der Eltern wie auch beim technischen Schutz vor problematischen On
line-Inhalten bestehen Lücken.

Insofern kann Kinder- und Jugendmedienschutz nur als Kombination von sich gegenseitig ergänzenden Kräften gelingen. Dazu gehören: Effektives aufsichtsrechtliches Vorgehen gegen die Verantwortlichen von Rechtsverstößen, Behebung der technischen Schutz-Lücken, Unterstützung von Eltern bei der Medienerziehung, und nicht zuletzt Förderung von Kindern und Jugendlichen beim schrittweisen Erwerb eigenverantwortlicher Medienkompetenz.

Begriffsklärung: Fake News und Verschwörungsmythen?

Fake News
sind bewusst in die Welt gesetzte falsche Nachrichten. Ihre Urheber wollen damit die eigene Überzeugung verbreiten, andere überzeugen oder ihnen schaden. Manchmal stecken auch finanzielle oder kriminelle Absichten dahinter.
sollen den Anschein „echter“ Nachrichten erwecken, enthalten aber falsche Behauptungen, gefälschte Bilder oder richtige Bilder im absichtlich falschen Kontext.
sind besonders für Kinder und Jugendliche oft schwer als „fake“ erkennbar.

Verschwörungsmythen
sind der „Versuch, einen Zustand, ein Ereignis oder eine Entwicklung durch eine Verschwörung zu erklären, also durch das zielgerichtete, konspirative Wirken einer kleinen Gruppe von Akteuren zu einem oft illegalen oder illegitimen Zweck“ (Stangl W., 2021, Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik, Stichwort „Verschwörungstheorie“)
behaupten, dass geheime Mächte etwas planen, um anderen Menschen zu schaden.

 

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