Di
01.10

Beschäftigung unter Wert in der Filmproduktion? Ein Gespräch mit Oliver Zenglein

von Lisa Priller Gebhardt unter TV

Kein Zweifel: Es fehlen Spezialisten in allen Gewerken der Film- und Fernsehbranche. Gleichzeitig klagen viele Beschäftigte über die schlechte Bezahlung und die wenig sozialverträglichen Arbeitsbedingungen. Blmplus wollte von Oliver Zenglein, einem der beiden Chefs des Netzwerkes für die Film- und Fernsehbranche Crew United, wissen, wo der Schuh drückt.

Realität in der Film- und TV-Produktion

Arbeitsbedingungen in der Film- und TV-Produktion in der Kritik, Foto: Fotolia

Auf den ersten Blick sieht die Tarifvergütung für die einzelnen Arbeitsbereiche wie Kamera, Beleuchtung und Ton für die Filmschaffenden ganz ordentlich aus. Die Wochengage für einen Tonmeister liegt laut Verdi bei 1607 Euro und für einen erfahrenen Kameramann bei 2999 Euro brutto. Ist die Realität so viel anders?

Filmschaffende arbeiten projektbezogen und damit fast immer zeitbefristet. In der Regel sind sie nur einen Teil des Jahres in Lohn und Brot. Die Beschäftigungsverhältnisse dauern im Schnitt zwischen zwei bis zehn Wochen. Davor und danach sind in der Regel lange Zeiten ohne Beschäftigung. Selbst wenn man eigentlich genügend Angebote bekommt, kann man zwei Drittel nicht wahrnehmen, weil sie sich mit den bereits zugesagten oder gerade stattfindenden Aufträgen überschneiden.

Gagen zu niedrig, Tarife werden unterlaufen

Ist die Tarifgage also zu niedrig?

Was viele nicht mehr wissen: Sie dient sowieso nur als Einstiegs-Gage für Berufsanfänger und ist eigentlich viel zu niedrig, um über das Jahr – inklusive Krankheit, Weiterbildung, Urlaub, Altersvorsorge – genug zu verdienen. Bedauerlich ist auch, dass die Tarifsätze für die vielen Solo-Selbstständigen von Haus aus keine Anwendung finden. Aber auch da, wo der Tarif eingehalten werden müsste, wird er regelmäßig unterlaufen.

Wie viel Prozent der Mitarbeiter werden in der Branche überhaupt nach Tarif bezahlt?

Darüber gibt es keine statistische Erfassung. Eines ist jedoch sicher: Eigentlich sollte es ein hoher Prozentsatz sein, denn in fast jeder Produktion stecken öffentliche Gelder.

Starkes Gefälle zwischen Above- und Below the Line-Beschäftigten

Crew United-Chef Oliver Zenglein

Apropos: Laut Vergütungsregeln, die die ARD und der Verband der Drehbuchautoren vereinbart haben, bekommt ein Autor zum Beispiel für einen „Tatort“ eine Erstvergütung von 85.000 Euro und für einen Fernsehfilm 65.000 Euro. Andere Positionen im Stab werden nach Mindestlohn bezahlt …

Zunächst einmal zur Klarstellung: Die ARD kann für diese 85.000 Euro  den Tatort mehrfach auf unterschiedlichen Sendeplätzen und in den Mediatheken verwerten. In der Regel gibt es für ein Fernsehfilmdrehbuch samt Erstausstrahlung meines Wissens höchstens 30.000 Euro. Grundsätzlich ist zu sagen:  Es herrscht ein starkes Gefälle zwischen Above und Below the Line. Also den Kreativen und dem restlichen Filmstab. Gerade bei Letzteren, wie z.B. Fahrern und Hilfskräften am Filmset, sind die Gagen grundsätzlich zu niedrig, egal in welcher Position. Im Umkehrschluss soll das aber nicht heißen, dass überall im Bereich Regie und Drehbuch fair bezahlt wird.

Auf der Crew United-Website werden manche Jobangebote gar nicht veröffentlicht, weil sie schlicht zu schlecht bezahlt sind. Wie häufig kommt das vor?

Täglich dutzendweise. Dabei handelt es sich nicht nur um kleine Firmen, die Mühe haben, sich über Wasser zu halten. Es sind natürlich auch die großen Firmen, die versuchen, Personal möglichst billig einzukaufen. Aktuell hat es sich gebessert, weil wir durch die neuen Player am Markt großen Bedarf nach Fachkräften haben.

Gibt es große Unterschiede bei der durchschnittlichen Bezahlung in den Bereichen Fiction, Unterhaltung und Dokumentation?

Pauschal lässt sich nur sagen, dass es in den nichtfiktionalen Produktionen generell selbstausbeuterischer zugeht als in fiktionalen. Aber auch da, insbesondere bei der Produktion von Filmen, die sich wenig marktkonformen Inhalten oder Themen widmen und kontrovers, mutig, unkonventionell, systemkritisch und nicht konsensorientiert sind, wird unter nicht sozialverträglichen Bedingungen gearbeitet.

Ausbildung stärken – neue Jobmodelle leben

Es ist unbestritten, dass die Arbeitsbedingungen beim Film härter sind als in anderen Medienberufen. Lange Drehtage, Wochenendarbeit – das zahlt nicht auf die Work-Life-Balance ein, die sich junge Menschen wünschen. Was müsste sich ändern?

Um dem Nachwuchsmangel zu begegnen, muss die Filmbranche sich professionalisieren. Das heißt, es müssen verbindliche Berufszugänge und -standards entwickelt werden, es braucht Praktikums-, Volontariats- und Mentoring-Programme und Jobmodelle wie zum Beispiel Job Sharing, die in anderen Branchen längst üblich sind. All diese Maßnahmen sollten auf die Filmbranche übertragen werden.

Auf der einen Seite jammern Firmen, dass sie niemanden finden, auf der anderen klagt der Nachwuchs, dass er mit Bewerbungen nicht landen kann. Warum tun sich beide Seiten so schwer, zusammen zu kommen?

Die Ausbildung des Mittel- und Unterbaus ist in den letzten Jahren stark vernachlässigt worden. Die alten Modelle, als Hilfskraft einzusteigen und durch Learning by Doing zum Assistenten und schließlich zum „Abteilungsleiter“ aufzusteigen, funktionieren nicht mehr. Die Arbeitsverdichtung lässt diesen alten Ausbildungsmodellen, die gut funktioniert haben, keinen Raum. Es muss viel zu schnell und effektiv gearbeitet werden – die Ausbildung bleibt auf der Strecke. Der Nachwuchs kann also nicht davon ausgehen, nach Abschluss der Ausbildung fertig ausgebildet für den filmischen Arbeitsmarkt zu sein, die Firmen können nicht davon ausgehen, dass sie der Ausbildungssektor mit einsatzbereitem Personal versorgt. Hier müssen sich beide Seiten bewegen.

Das klingt nach einem Teufelskreis.

In der Tat, denn jeder Produzent will in jeder Entscheidung so viel Risiko wie möglich vermeiden. Nachwuchskräften, die keine Erfahrungen haben, wird auch keine Chance gegeben, Erfahrungen zu machen.

Mehr Infos:

Unser Blogbeitrag „Film & Fernsehen – eine Branche mit Nachwuchssorgen“ hat für eine kontroverse Diskussion gesorgt, insbesondere mit Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Nachwuchsmangel und Arbeitsbedingungen. Darüber haben wir mit Oliver Zenglein, dem Chef des Netzwerkes für die Film- und Fernsehbranche, Crew United, gesprochen.

 

Kommentar abgeben

Folgende Beiträge könnten Sie ebenfalls interessieren:

Kommentar abgeben

Bitte achten Sie auf höfliche und faire Kommunikation. Mehr dazu unter Blogregeln.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit einem * markiert.

Hiermit akzeptiere ich die Datenschutzbedingungen und mir ist bewusst, dass meine Daten zur Verarbeitung meines Kommentares gespeichert werden.