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09.01

Bekenntnisse eines Smartphone-Junkies

von Nils Jacobsen unter Netzwelt

Das Smartphone kann Helfer, aber auch Stressfaktor sein. Mit diesem Thema beschäftigt sich das Mediengespräch Regensburg auf Einladung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien am 30. Januar 2018. Ein Leben ohne den mobilen Begleiter ist für viele unvorstellbar, so auch für den Techreporter und Wirtschaftsjournalisten Nils Jacobsen. Im Vorfeld des Mediengesprächs schildert der Smartphone-Junkie, was passierte, als er eine Woche auf sein iPhone verzichten musste.

Verhängnisvolle Abhängigkeit vom Smartphone

Es gab eine Zeit, in der ich, ohne mit der zu Wimper zu zucken, behauptet hätte, ich sei mit dem iPhone verheiratet. Das war in den ersten Jahren nach dem Launch. Ich bin seit Tag eins, dem 9. November 2007, als das erste iPhone bei der Telekom auf den Markt kam, mit Apples Kultsmartphone in der digitalen Welt unterwegs – jeden Tag, seit einem Jahrzehnt.

Nils Jacobsen

„Das Smartphone bietet für unseren Alltag einen großen Zugewinn. Was wir bis heute lernen müssen, ist der Umgang damit“, Nils Jacobsen / Bild: Jacobsen

Daraus ist eine verhängnisvolle Abhängigkeit entstanden, die wir unterschwellig seit Jahren spüren, aber von der wir doch nichts wissen wollen, weil Smartphones längst unsere digitalen Begleiter geworden sind, von denen wir uns im Alltag nicht mehr ansatzweise trennen können.

78 Prozent aller Deutschen besitzen bereits ein Smartphone

Seien wir ehrlich: Vom Klingeln des digitalen Weckers über den Abruf des Wetters oder der Aktienkurse, der Kommunikation mit Familie, Kollegen und Freunden bei WhatsApp & Co. bis hin zur Information in Nachrichtenportalen oder den sozialen Netzwerken begleitet uns das Smartphone so konsequent wie kein anderer Gegenstand in den 16 bis 17 Stunden unseres Tages.

78 Prozent der Bundesbürger verwenden inzwischen ein Smartphone: Mehr als 80 Mal am Tag greifen wir nach iPhone, Samsungs Galaxy, Huawei-Geräten oder anderen Smartphones, mehr als zwei Stunden unserer Zeit verbringen wir inzwischen durchschnittlich mit den mobilen Endgeräten, während wir unfassbare 2.617 Mal am Tag sogar das Display berühren. Längst sind wir schleichend zu Smartphone-Junkies geworden, ohne es wahrhaben zu wollen.

Was passiert, wenn wir plötzlich auf den digitalen Alleskönner verzichten müssten? Im letzten Sommer habe ich für eine Woche den kalten Entzug betrieben – ungewollt.

Die Macht der Gewohnheit ist enorm groß

Es passierte im Urlaub in Albanien. Ich benutze ein providergebundenes iPhone 7 Plus, das wegen des sogenannten SIM-Locks keine anderen Mobilfunkkarten akzeptiert. Für mich ziemlich ärgerlich: Mobilfunkkarten mit einigen Gigabyte Datenvolumen bekommt man in Albanien an jeder Straßenecke für ein paar Euro, während ich mir bei der Telekom für fünf Euro gerade mal 100 MB zubuchen könnte – das reicht allerdings nur, um damit ein paar Mal im Instagram-Feed herumzubrowsen.

Tatsächlich ist die Abhängigkeit so groß, dass ich am Strand von Saranda genau das einige Mal getan habe: Am Ende des ersten Urlaubstags hatte ich so für Informationen, die ich bei ehrlicher Betrachtung gar nicht brauche, 20 Euro verbraten – der Gegenwert eines neuen Romans. Muss ich im Urlaub aber tatsächlich mitansehen, wie die Kollegen in Hamburg gerade ihr Mittagessen fotografieren, Taylor Swift ihre erste Single seit drei Jahren auf Facebook anpreist und die neuesten Brancheninformationen bei Twitter in Echtzeit lesen, jetzt, da ich eigentlich abschalten könnte?

Blog Mediengesprä Regensburg Smartphone Stress

Am 30. Januar 2018 wird beim Mediengespräch Regensburg zum Thema diskutiert

Die traurige Wahrheit ist: Die Macht der Smartphone-Gewohnheit ist enorm groß, sie ist in Fleisch und Blut übergegangen, sie ist der Pawlowsche Reflex des modernen Menschen, der automatisch alle paar Minuten auf das Display linst, bei Unterhaltungen eine kürzere Aufnahmefähigkeit besitzt und unterschwellig längst darauf konditioniert ist, durch neue Informationsströme aus dem Smartphone unterbrochen zu werden, wie immer mehr wissenschaftliche Studien beweisen.

Smartphones können „unsere Gehirne entführen“

Als Tech-Journalist und iPhone-Nutzer der ersten Stunde weiß ich all diese Dinge natürlich – und doch fällt es mir ungemein schwer, daraus Konsequenzen zu ziehen. Am Ende des ersten Urlaubstages schließe ich mit meiner Frau, die ein älteres iPhone-Modell ohne Netzbindung besitzt und daher problemlos den ganzen Tag im albanischen Netz mit neuer SIM-Karte surfen kann, eine Wette ab: Gelingt es mir, von nun an für eine Woche im Urlaub auf das iPhone zu verzichten – oder bin ich längst Sklave des Smartphones geworden, das buchstäblich unsere Gehirne entführt hat, wie selbst ein früherer Google-Mitarbeiter behauptet?

Mein iPhone bleibt am nächsten Tag im Safe, ich verbringe den Tag am Strand als wäre es nicht 2017, sondern wieder 2007 – ausschließlich mit Buch. Die ersten Stunden sind hart, kalter Entzug wie bei einem Zigaretten-Junkie. Allein die Scroll-Bewegung, mit der ich Twitter nach neuen Tweets aktualisiere, fehlt mir fast körperlich. Auch Fotos zu schießen, wäre nicht die schlechteste Idee, es ist schön hier in Saranda, vor allem beim Ausflug ins nahe gelegene Butrint, das mit seiner historischen Römer-Siedlung zum UNESCO Weltkulturerbe zählt.

Ich mache jedoch die Fotos mit der alten Canon-Kamera und bin zwischen der Generation Selfie, die mit dem Gegrinse in die Frontkamera jede antike Statue verschandelt, ein bisschen stolz auf meine Smartphone-Absenz. Doch schon auf dem Rückweg fehlt mir das iPhone tatsächlich in der praktischen Nutzung: Es ist dunkel, der Rückweg eher unklar, eine Navigationshilfe via Google oder Apple Maps ist angesichts der irreführenden  Ausschilderung kein Spielzeug, sondern eine Must-Have-Anwendung

Dekade des Smartphones: Technischer Quantensprung dieses Jahrhunderts

Fazit: Man kann sich für eine Woche im Urlaub ein Smartphone-Sabbatical gönnen wie eine Fastenkur, im (journalistischen) Alltag jedoch macht man sich damit das Leben schwerer als nötig. Anno 2017 auf das Smartphone zu verzichten, ist ein bisschen so, als hätte man vor knapp 150 Jahren aus nostalgischen Gründen Kerzenlicht statt die neue Glühlampe verwendet. Natürlich bietet das Smartphone für unseren Alltag einen großen Zugewinn: Dass das Internet deshalb buchstäblich in unsere Westentasche gewandert ist, ist der eigentliche technische Quantensprung dieses Jahrhunderts.

Was wir bis heute allerdings lernen müssen, ist der Umgang damit. Wie bei jeder neuen technischen Errungenschaft, ist das Bessere des Guten Feind. Gerade der jüngeren Generation, die mit Smartphones im Kindes- oder Jugendalter groß geworden ist und ‚always on‘ als Normalzustand ansieht, droht eine ungesunde Werteverschiebung. Etwa die Schönheit der Natur zu erkennen, ohne den digitalen Druck zu spüren, den Augenblick Instagram- und Snapchat-gerecht festzuhalten oder aber auch die Gabe der Kommunikation, die von Mensch zu Mensch und nicht von Smartphone zu Smartphone geführt wird. Nach der ersten Dekade mit dem Smartphone steht fest: iPhones & Co. sind ein wunderbarer Alltagshelfer, aber sie sollten nicht über unseren Alltag bestimmen.

Am 30. Januar 2018 wird beim Mediengespräch Regensburg zum Thema „Smartphone: Zwischen Helfer und Stressfaktor“ diskutiert. Alle Infos dazu gibt es hier.

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