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04.10

„Wir betreiben kollektives Antiyoga“ – Alexander Markowetz zum digitalen Burnout

von Bettina Pregel unter Medienkompetenz Netzwelt

Ständig erreichbar, immer online: Die Gefahr eines digitalen Burnouts beschreibt der Informatiker und Medienwissenschaftler Alexander Markowetz, der das Verhalten von 300.000 Smartphone-Nutzern analysierte.  Am 13. Oktober 2016 hält der Buchautor die Keynote bei den Augsburger Mediengesprächen 2016, die nach dem richtigen Umgang mit dem Smartphone fragen.

Digitaler Burnout: Wie weit sind wir davon entfernt?

Sie haben im Rahmen des „Menthal“-Projekts an der Universität Bonn das Verhalten der Smartphone-Nutzer erforscht und die Ergebnisse dann im Buch „Digitaler Burnout“ verarbeitet. Wie weit ist Deutschland von den Verhältnissen in der chinesischen Stadt Chongquing entfernt, die gesonderte Wege für Smartphone-Nutzer eingerichtet hat, um Kollisionen zu vermeiden?

Digitaler Burnout - Alexander Markowetz

Buchautor Dr. Alexander Markowetz, Foto: privat

Nicht weit. Es gibt zwar Studien über Asien, beispielsweise über Korea, die belegen, dass dort noch etwas mehr geklickt wird als hier. Deutsche Smartphone-Nutzer sind jedoch fast genauso fleißig. Dementsprechend sehen wir auch in Deutschland ähnliche Gegenmaßnahmen zum Vermeiden von Unfällen, z.B. Bodenampeln für Smartphone-Nutzer.

Wie definieren Sie den Begriff „digitaler Burnout“ und wie lässt sich ein solch drohender Burnout erkennen?

Der Zustand aus mangelndem Glücksempfinden und gleichzeitiger Unproduktivität, in den wir uns medial reinsteigern. Warnhinweise sind sicher Schuldgefühle, das Vernachlässigen von beruflichen Verpflichtungen oder ein Verheimlichen des Geräte-Gebrauchs vor unseren Nächsten.

Welches sind die größten Veränderungen im Lebensalltag, die sich durch die permanente Smartphone-Nutzung ergeben?

Zerstreuung mit maximaler Frequenz

Erstens, der fragmentierte Alltag, geprägt durch permanente Unterbrechungen. Zweitens, der Mangel an kleinen Mikropausen, die sich aus dem Verschnitt analoger Prozesse ergaben und nun durch Smartphone-Interaktion zugeschmiert werden. In Summe betreiben wir kollektives Antiyoga: wir nehmen orthopädisch absurde Haltungen ein und zerstreuen uns mit maximaler Frequenz. Das ist uns auf Dauer abträglich.

„Faustischer Pakt – Gefährdung unserer Jobs und unserer Beziehungen – Zerstörung unser Produktivität“: Ist dieses Bild der Gefahren und Folgen des „always on“ nicht etwas überzeichnet? Oder lässt sich das mit Erkenntnissen aus dem „Menthal“-Projekt belegen?

Smartphones nicht verteufeln, aber lernen, damit umzugehen

Das Menthal Projekt erforscht das Verhalten mit dem Smartphone, nicht seine Folgen. Diese kann man derzeit lediglich plausibel herleiten. Die Szenarien sind nicht überzogen. Wenn die Pressereaktion auf Menthal etwas zeigt, dann, dass Deutschland wirklich ein Problem und einen Redebedarf bezüglich seiner Smartphones hat. Wir mussten ja monatelang non-stop Interviews geben. Im übrigen geht es nicht darum, die Geräte zu verteufeln oder abzuschaffen. Sie sind ja toll, man kann viele Dinge mit ihnen erledigen. Im ersten Schritt haben wir sie erschaffen, in einem zweiten müssen wir jetzt nur noch lernen damit umzugehen.

Wenn das alles zutrifft, wie sehen dann die Maßnahmen aus, mit denen in Privat- und Beruflsleben gegengesteuert werden kann (Stichwort: digitale Diät)?

Digitaler Burnout - Augsburger Mediengespräche

Foto: Mellon Design/BLM

Wir brauchen Kulturtechniken, um uns in einem Meer aus viel-zu-viel zurechtzufinden. Wir müssen uns auf ein Maß an Kommunikation und Medienkonsum beschränken, das uns noch zuträglich ist. Dabei reden wir nicht von zweiwöchigem heroischen Verzicht wie bei der Ananas-Diät. Vielmehr geht es darum, lebenslange Strategien zur Navigation in diesem Überfluss zu entwickeln, quasi digital-vegan.

Human Ressources erst erfinden

Und wie können speziell die Unternehmen gegensteuern, um ihre Mitarbeiter vor einem digitalen Burnout zu bewahren?

Wir müssen Human Ressources (HR) erst erfinden. Überspitzt gesagt, beschränken wir uns bislang auf Rekrutierung und Rentenbuchhaltung. Aber wir müssen viel kleinteiliger hinschauen: Was sind die Tools, die Prozesse, und die Regeln, die wir brauchen, um effektiv und nachhaltig arbeiten zu können? Die meisten Großkonzerne sind da blank.

Wir müssen Taskforces einrichten, aus HR, IT, Betriebspsychologen, Management und Gewerkschaften, die sich Gedanken machen, wie wir das bewerkstelligen. Die Fragen gilt es, im Zuge des technischen Fortschritts immer auf’s Neue zu stellen. Wir werden nie definitive Lösungen erhalten, aber wir können die entsprechenden Prozesse in Gang bringen.

Schulen sind wichtige Multiplikatoren

Sie haben auch Kindern und Jugendlichen ein eigenes Kapitel in Ihrem Buch gewidmet, deren digitale Abwehrkräfte wir stärken sollen. Welche Rolle sollte die Schule in diesem Kontext spielen und was kann das Elternhaus tun?

Schulen sind wichtige Multiplikatoren. Viele Lösungen, z.B. kein Smartphone nach 20:00, sind einem 13-Jährigen nicht zuzumuten. Alle anderen Schüler feiern ja bis in die Puppen Whatsapp-Party, und es wäre grausam, einen einzelnen Schüler auszuschließen. Aber, wenn sich die Eltern einer Klasse geschlossen drauf einigen, die Telefone um 20:00 einzuziehen, dann ist das für alle Kinder erträglich.

Darüber hinaus müssen Schulen Strategien vermitteln, sich in dem Überfluss an Kommunikation und Medien zu beschränken. Also Selbstmanagement in Form von Diät und Kommunikationsetikette. Das Problem ist natürlich, dass wir die definitiven Antworten und Methoden selber noch nicht kennen. Wir wissen also gar nicht genau, was wir vermitteln sollen. Andererseits können wir nicht auf die Grundlagenforschung warten und zwischendurch zwei weitere Generationen an Schülern zersägen.

Zur Person:

Alexander Markowetz studierte Informatik und Medienwissenschaften in Marburg an der Lahn. Nach Aufenthalten an der University of California Riverside und an der New York University Tandon School of Enginering folgte von 2004 bis 2008 die Promotion in Hongkong. Von 2009 bis 2016 war Alexander Markowetz Junioprofessor für Informatik an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Dort erdachte und betreute er das Menthal Projekt, das bis heute das Smartphoneverhalten von 300.000 Nutzern analysiert. Markowetz fasste die Erkenntnisse in seinem viel betrachteten Buch „Digitaler Burnout“ zusammen. Das Buch liefert viele neue Einsichten und Handlungssätze.

Die Augsburger Mediengespräche finden am Donnerstag, 13. Oktober 2016, von 18.30 bis 21 Uhr im Rathaussaal in Augsburg statt. Gastgeber sind die BLM und die Augsburger Medienunternehmen. Hier geht’s zum Ticketverkauf.

 

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