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05.09

Dauerstress durch Smartphone kann Nutzer „ausbrennen“ Suchttherapeut Benjamin Grünbichler im Interview

von Elena Lorscheid unter Netzwelt

Benjamin Grünbichler, Diplom-Sozialpädagoge und Suchttherapeut, Geschäftsführer neon – Prävention und Suchthilfe Rosenheim, berichtet für blmplus, wo Smartphonesucht beginnt und was der Nutzer tun kann, um sein Leben im Gleichgewicht zu halten. Am 18. September diskutiert er beim 1. Rosenheimer Mediengespräch zum Thema „Digitaler Dauerstress? Der richtige Umgang mit dem Smartphone“.

„Die allermeisten Nutzer haben eine funktionale Abhängigkeit vom Smartphone“

Heute Vormittag habe ich auf dem Weg zur Arbeit bereits zehnmal auf mein Handy geguckt. Bin ich schon smartphone-süchtig?

Das kommt auf die Länge ihres Arbeitsweges an. Die Häufigkeit des Display-Checks ist alleine noch nicht aussagekräftig, ob Sie süchtig sind oder nicht. Die allermeisten Smartphone-Nutzer haben eine funktionale Abhängigkeit von ihrem Gerät: Sie brauchen es, da es der Terminkalender ist, der Wecker, das Navi, das einzige Kommunikationsmittel etc. Eine funktionale Abhängigkeit ist anders als die psychische Abhängigkeit nicht behandlungswürdig.

„Wenn das Handy den Geist aufgibt, kann das extremen Stress bedeuten“

Man sollte sich nur Fragen, ob man „alles auf eine Karte setzen“ will. Sollte nämlich aus unvorhersehbarem Grund das Handy mal den Geist aufgeben, kann das für die betroffene Person extremen Stress bedeuten. Indikatoren für eine psychische Abhängigkeit sind z.B. übermäßige zeitliche Beschäftigung mit dem Gerät, das bewusste in Kauf nehmen negativer Konsequenzen (ich chatte bis 1:00 Uhr Nachts, obwohl ich morgen eine Schulaufgabe schreiben muss) oder zunehmender sozialer Rückzug.

Grünbichler

Grünbichler: „Das Smartphone macht in vielen Fällen das Leben der Nutzer nicht angenehmer“ / Foto: Grünbichler

Manche Experten warnen vor einem digitalen Burnout als Folge der Sucht. Was sind denn die Merkmale eines solchen Burnouts und worauf sollten Nutzer achten?

Der „digitale Burnout“ beschreibt folgendes Phänomen: Obwohl ein modernes Smartphone ein Supercomputer mit unglaublicher Rechenleistung ist, führt es in vielen Fällen nicht dazu, dass es das Leben der Nutzer erleichtert und angenehmer macht.

„Durch die ständige Verfügbarkeit und die vielen Apps kommen immer mehr Menschen nicht zu den wesentlichen Aufgaben“

Genau das Gegenteil ist häufig der Fall – Immer mehr Menschen berichten, dass sie durch die ständige Verfügbarkeit und die vielen Apps oft nicht zu den wesentlichen Aufgaben kommen, bzw. diese nur unzureichend erledigen. Die ständigen Unterbrechungen des Alltags führen zu Unruhe, Gereiztheit und Stress. Findet man für diesen täglich wiederkehren Stress keine wirksame Lösung, kann eine Art „Ausbrennen“ mitverursacht durch das Smartphone beobachtet werden. Der Nutzer sollte bewusst darauf achten, wann es notwendig und sinnvoll ist erreichbar zu sein und sollte ebenso bewusst auf sein Gerät verzichten, wenn er Zeiten der Ruhe, Kreativität und Entspannung braucht. Und auch diese Zeit braucht jeder Mensch täglich.

Meinen Sie, dass es etwas bringt, sich dem Smartphone zu verweigern? Für viele Jugendliche ist es untrennbar mit Schule, Job und sozialem Umfeld verwoben.

Es gibt Smartphone-Verweigerer, wenn auch nicht viele. Auch sie bekommen ihr Leben auf die Reihe und scheinen nicht unglücklicher zu sein. In vielen Fällen führt eine komplette Smartphone-Abstinenz allerdings zu mehr Aufwand und ist daher oft unbequem und aufwendig.

„Der Nutzer muss ein Bewusstsein für den positiven Effekt der Nicht-Erreichbarkeit entwickeln“

Für die meisten Menschen eignet sich wohl eher eine Smartphone-Diät, sprich eine bewusste Nutzung des Geräts und eben auch ein punktuelles Verzichten in bestimmten Situationen (während den Hausaufgaben, während Mahlzeiten, während bestimmten Freizeitaktivitäten, vor dem zu Bett gehen etc.). Dafür muss der Nutzer (auch Erwachsene!) allerdings ein Bewusstsein für den positiven Effekt der Nicht-Erreichbarkeit und Nicht-Ablenkbarkeit entwickeln. Meiner Erfahrung nach scheuen viele Menschen noch den Schritt in Richtung digitale Diät.

Grünbichler Smartphone Stress

In vielen Fällen kann die ständige Erreichbarkeit auch zu Frustration führen / Foto: fotolia

Manche haben permanent Angst, etwas zu verpassen, wenn Sie nicht dauernd auf ihr Smartphone gucken. Was kann man tun, um das Gleichgewicht wieder herzustellen?

Diese Angst ist häufig mitverantwortlich für das selbstverursachte Antrainieren einer Aufmerksamkeitsstörung. Je nach Alter ist das Bedürfnis „nicht auf der Strecke zu bleiben“ unterschiedlich stark ausgeprägt. Für Jugendliche ist es in der Regel wichtiger als für Erwachsene ständig am Ball zu bleiben. Das Gefühl zu haben, außen vor zu sein ist für junge Menschen nur schwer erträglich. Daher ist es besonders wichtig, dass die Erziehungsberechtigten die Smartphones an ihre minderjährigen Kinder nur als Leihgabe aushändigen.

„Es ist empfehlenswert, das Handy täglich für ein paar Stunden in den Offlinemodus zu versetzen“

An diese Leihgabe müssen klare Regeln und Bedingungen geknüpft sein, da nur wenige Kinder und Jugendliche sich im Alter von 12 bis 16 Jahren bzgl. der Mediennutzung effektiv selbst regulieren können. Ich empfehle den Smartphone-Nutzern das Handy täglich für ein paar Stunden in den Offlinemodus zu versetzen. Die meisten sind überrascht wie wenig Relevantes Sie nach vier Stunden tatsächlich verpasst haben.

Sicher besitzen Sie selbst auch ein Smartphone oder Handy. Wie gehen Sie damit um?

Ich bin froh über mein Smartphone und nutze es sehr gerne. Es ist mein Terminkalender, mein Fotoapparat, mein Shoppingtool und manchmal sogar mein Telefon. Allerdings gebrauche ich es seit ein paar Jahren wesentlich bewusster. In der Arbeit oder bei einem gemütlichen Abendessen habe ich das Handy im Offline-Modus. Auf ein paar sehr zeitraubende Messenger-Apps verzichte ich mittlerweile komplett. Allein durch die Umstellung auf datenschutzfreundliche Alternativen wird der „Kommunikations-Spam“ auf ein Minimum reduziert. Ich muss mein Handy nur 2-3 mal in der Woche aufladen.

 

Am 18. September 2017 diskutiert Benjamin Grünbichler beim 1. Rosenheimer Mediengespräch zum Thema „Digitaler Dauerstress? Der richtige Umgang mit dem Smartphone“. Alle Informationen zur Veranstaltung gibt es hier.

Benjamin Grünbichler, geboren 1982, bekam sein erstes Handy mit 17 (nur SMS und Telefonieren). 2006 erhielt er sein Diplom in Sozialpädagogik, das Thema der Diplomarbeit: Chancen und Risiken von Online-Rollenspielen. Sein erstes Smartphone kaufte er 2008 und ist seit 2010 Mitbegründer und Geschäftsführer des Präventionszentrums neon in Rosenheim. 2013 schloss er seine Ausbildung zum Suchttherapeuten ab und befindet sich seit 2016 in „digitaler Diät“, wie er sie nennt. Mittlerweile ist er Vater von zwei Kindern.

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