Di
10.05

Zero-Rating und das Problem exklusiver Modelle

von André Wiegand unter Netzwelt Radio TV

Wer unterwegs häufiger Webradio hört oder sich YouTube-Videos anschaut, stößt schnell an Grenzen. Denn Handy-Tarife bieten keine echten Flatrates für mobiles Audio- und Videostreaming. Weltweit führen die Mobilfunkanbieter jedoch zunehmend Zero-Rating-Optionen ein, die eine unbegrenzte Nutzung ausgewählter Streamingdienste erlauben. So bietet die Telekom den Musikdienst Spotify als exklusives Abo ohne Anrechnung auf das Datenvolumen an. Nach einer Goldmedia-Marktstudie im Auftrag der BLM werden die Mobilfunker mit Blick auf künftige Video-Flatrates vermutlich ebenfalls exklusive Vermarktungspartnerschaften anstreben, um das Geschäftsmodell restriktiver Volumenbegrenzungen zu schützen.

Flatrates für mobiles Audio- und Videostreaming

Das Datenvolumen von einem Gigabyte reicht zwar für das übliche Surfen, E-Mails, WhatsApp oder auch das Versenden von Fotos, doch beim Streaming von Musik- oder Radioangeboten und vor allem von Videos oder Fernsehsendungen ist das verfügbare Datenvolumen innerhalb kurzer Zeit aufgebraucht. Lediglich 25 Stunden Musik bzw. 2-3 Stunden Video in DVD-Qualität könnten so beispielsweise pro Monat mobil gestreamt werden – und das auch nur, wenn man sonst keine weiteren Daten verbraucht.

Abbildung_Datenverbrauch_ZeroRating

Vor diesem Hintergrund bieten Mobilfunkanbieter so genannte Zero-Rating-Angebote an. Dabei wird die Nutzung bestimmter Audio- und Video-Dienste nicht auf das jeweilige Datenvolumen der Kunden angerechnet, so dass sie diese Dienste unbegrenzt nutzen können. Zero-Rating-Optionen werden in der Regel exklusiv für einen Streaming-Dienst angeboten, um das aktuelle Preisgefüge zu schützen. Ein bekanntes Beispiel in Deutschland die Vermarktungspartnerschaft zwischen der Deutschen Telekom und Spotify. Bei Telekom-Mobilfunkkunden, die eine „Music-Flat“ gebucht haben, wird die mobile Nutzung von Spotify per App nicht vom verfügbaren Datenvolumen abgezogen.

Ist Zero-Rating ein Fall für die Plattformregulierung?

Die Mobilfunkunternehmen berufen sich bei der Vermarktung ausgewählter Streaming-Anbieter auf ihre Vertragsfreiheit. Die Medienanstalten indes sehen in der exklusiven Vermarktung einzelner Medienangebote durch einen Netzbetreiber die Plattformregulierung tangiert (vgl. Kommentar von Siegfried Schneider, dem Vorsitzenden der DLM, unten). Nach ihrer Ansicht sollten grundsätzlich alle Modelle, die es Mobilfunkkunden erlauben, zu vergünstigten Konditionen auf Streaming-Inhalte zuzugreifen, allen Anbietern offenstehen. Damit soll verhindert werden, dass sich Dienste- bzw. Inhalteanbieter gegenüber gleichartigen Anbietern Vorteile verschaffen.

Auch der VPRT fordert Diskrimierungsfreiheit

Mit dieser Einschätzung stehen die Landesmedienanstalten nicht allein da, wie die Stellungnahmen der Medienvertreter zum Workshop der Bundesnetzagentur über die Regelungen zur Netzneutralität in der Telecom Single Market-Verordnung belegen: So betont der VPRT, dass die Diskriminierungsfreiheit bezogen auf den Endnutzer auch die Inhalteanbieter als Endnutzer erfasse. Damit stehe die Diskriminierungsfreiheit von Endnutzern Modellen entgegen, die nur einen Dienst dem Zero Rating unterwerfen. Auch ARD und ZDF befürchten „im Hinblick auf kommunikative Chancengleichheit und Vielfaltssicherung negative Auswirkungen durch Vereinbarungen zwischen Internetzugangs- und Inhalte-/Diensteanbietern. […] Solche Vereinbarungen seien daher ‚streng zu prüfen‘ und ggf. zu untersagen.“

Demgegenüber stehen jedoch auch Einschätzungen beispielsweise des Kabelverbands ANGA, der keine Beeinträchtigung von Endnutzerrechten durch Zero Rating sieht. Auch der Bitkom-Verband setzt vor allem auf einen „marktgetriebenen Prozess“.

Unbegrenzt mobil streamen: USA keine Blaupause für Deutschland

Technisch wäre eine Öffnung der Datenvolumenverträge für mehr oder alle Streaming-Angebote umsetzbar, wie das Beispiel T-Mobile in den USA zeigt: Die Kunden von T-Mobile US können mittlerweile praktisch unbegrenzt mobil streamen. Unter dem Titel „Music Freedom“ und „BingeOn“ bündelt T-Mobile US ein massenattraktives Angebot mit 44 Audio-Streaming- bzw. 24 Video-Streaming-Diensten (Stand: Januar 2016), die ohne Anrechnung auf das Datenvolumen genutzt werden können. Das Videoprogramm ist nach Aussage von T-Mobile US zudem offen für weitere Anbieter. Die Auswahl und inhaltliche Vielfalt der Zero-Rating-Inhalte für den Audiobereich ist also erheblich größer als in Deutschland, und der gleiche offene Ansatz wurde auf den Videobereich übertragen.

In Deutschland besteht jedoch aufgrund der konsolidierten Marktsituation derzeit für keinen der drei großen Mobilfunknetzbetreiber die Notwendigkeit, mit anbieterübergreifenden Video-Streaming-Flatrates ohne Kostenbeteiligung der Inhalteanbieter auf den Markt vorzustoßen und das aktu­elle Preis-Leistungsgefüge aufzubrechen. Sie werden daher bestrebt sein, das Modell der restriktiven Datenvolumenbegrenzung bei den Mobilfunkverträgen aufrecht zu erhalten. Dies bedeutet, auch im Bereich des Videostreamings sind eher exklusive Vermarktungspartnerschaften mit einzelnen Diensten zu erwarten. Die Datenkosten der übrigen Dienste müssen entweder von den Mobilfunkkunden oder den Inhalteanbietern getragen werden.

Hier stellt sich die Frage, ob und wie ein Ausgleich zwischen den Ertragszielen der Mobilfunknetzbetreiber, den Nutzungsbedürfnissen der Kunden und der Anforderung der Medienregulierer an Chancengleichheit für alle Inhalteanbieter erzielt werden kann.

Kommentar von Siegfried Schneider, Präsident der BLM und Vorsitzender der DLM

Siegfried Schneider, DLM-VorsitzenderZero-Rating-Modelle, die auf exklusiven Vereinbarungen mit einzelnen Inhalteanbietern beruhen, sehe ich sehr kritisch. Sie gefährden den Wettbewerb zwischen den Anbietern auf dem zunehmend wichtiger werdenden mobilen Verbreitungsweg. Zur Sicherung der Angebotsvielfalt müssen Zero-Rating-Modelle deshalb grundsätzlich allen Anbietern offenstehen.

Gefährdung der Angebotsvielfalt und des Wettbewerbs

Denn Mobilfunknetzbetreiber beeinflussen über die Auswahl der Dienste, mit denen sie exklusive Vermarktungspartnerschaften eingehen, wie in Deutschland zum Beispiel die Telekom und der Musikdienst Spotify, die Nachfrage der Nutzer. Wer keine Vermarktungsunterstützung hat, müsste dann als Inhalteanbieter gegenüber dem Netzbetreiber die aufkommenden Datenkosten für ein Zero-Rating-Modell übernehmen. Langfristig könnte das eine Aufteilung des Marktes zur Folge haben – und zwar in solche Anbieter, die diese Subventionen finanzieren können und solche, die dazu nicht in der Lage sind.

In der Goldmedia-Marktstudie heißt es dazu: „Damit würde sich analog der derzeitigen Argumentation gegen eine Überholspur für zahlungskräftige Medienanbieter auch durch Zero-Rating das Ungleichgewicht zwischen finanzstarken und finanzschwachen Anbietern weiter vergrößern. Rein werbefinanzierte Anbieter wären gegenüber kostenpflichtigen Streaming-Angeboten gegebenenfalls im Nachteil, da sie keine auf Umsatzprovision basierende Vermarktungspartnerschaft mit den Mobilfunknetzbetreibern eingehen können und die zusätzlichen Kosten auch nicht direkt über Abonnements refinanzierbar sind.“

Zugang zu Zero-Rating-Modellen muss allen Anbietern offen stehen

Bereits in einer Erklärung der Gremienvorsitzendenkonferenz der Landesmedienanstalten und der ARD vom Oktober 2015 haben die Landesmedienanstalten gefordert: „Zero-Rating darf, soweit es telekommunikationsrechtlich zulässig ist, nicht in den publizistischen Wettbewerb eingreifen.“ Diese Position müssen wir angesichts der Telecom Single Market Verordnung vom November 2015, die keine Einschränkungen für das Zero-Rating vorsieht, stärken. Die Verordnung  überlässt es den nationalen Regulierungsbehörden, gegen mögliche Einschränkungen in der Auswahlentscheidung des Endnutzers vorgehen. Bis spätestens Ende August 2016  muss es dafür Leitlinien geben.

Da einzelne rundfunkähnliche Telemedien von Mobilfunknetzbetreibern bevorzugt vermarktet werden, sehen wir durch Zero-Rating die Plattformregulierung nach §52 ff. im Rundfunkstaatsvertrag tangiert. Deshalb sollte folgende Regelung in eine novellierte Plattformregulierung im Rahmen des Rundfunkstaatsvertrages Eingang finden: Alle Modelle, die es Mobilfunkkunden erlauben, zu vergünstigten Konditionen auf Streaming-Inhalte zuzugreifen, müssen grundsätzlich allen Anbietern offenstehen.

 

 

 

 

 

Kommentar abgeben

Kommentar abgeben

Bitte achten Sie auf höfliche und faire Kommunikation. Mehr dazu unter Blogregeln.

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit einem * markiert.

Hiermit akzeptiere ich die Datenschutzbedingungen und mir ist bewusst, dass meine Daten zur Verarbeitung meines Kommentares gespeichert werden.