17.11
Weltbilder in digitalen Spielen
Weltbilder in digitale Spielen – inwiefern beeinflussen sie die Gamer ? Viele Eltern sind besorgt, wenn sie ihren Nachwuchs einen wild um sich ballernden Helden steuern sehen. Doch Computerspiele ‚wirken‘ nicht einfach, meint Prof. Dr. Jochen Koubek. Sie machen audiovisuelle, erzählerische, spielerische und performative Bedeutungsangebote, die mündige Spieler selektiv übernehmen. Auf jeden Fall brauchen sie Gaming Literacy – Medienkompetenz, die geübt werden muss, so sein Fazit bei der diesjährigen Fachtagung des Forums Medienpädagogik der BLM im November.
Weltbilder in digitalen Spielen? Die meisten Gamer bleiben unbeeindruckt
Computerspiele sind zwar in allen Altersklassen verbreitet, aber gerade auf Kinder und Jugendliche üben sie eine besondere Faszination aus. Die medienpädagogische Begleitforschung stellt seit den 80er-Jahren die Frage nach der Wirkung auf Spielerinnen und Spieler, ohne bislang zu einem klaren Ergebnis zu kommen.
Während die frühe Wirkforschung noch von einem jugendlichen Rezipienten ausging, der nahezu beliebig von Medieninhalten beeinflussbar ist, zeigen neuere Untersuchungen, dass die kulturpessimistischen Vorhersagen keineswegs eingetroffen sind und die meisten Spielerinnen und Spieler weitgehend unbeeindruckt aus ihren Spielerlebnissen herauskommen.
Bedeutungsangebote in Form von Werten und Rollen
Wie alle Medien ‚wirken‘ Computerspiele nicht einfach auf ihre Spieler, vielmehr machen sie Bedeutungsangebote, die sich u.a. auf Weltbilder, Werte und Rollen beziehen lassen. Entscheidend bei der Interpretation ist die Frage, in welcher Form Computerspiele diese Angebote unterbreiten. Hier lassen sich zumindest vier Aspekte unterscheiden:
- Die meisten Computerspiele bieten audiovisuelle Bildwelten, die jedes Jahr fotorealistischer werden bzw. mit eigenen grafischen Stilen an Handzeichnungen, Comics, Scherenschnitte oder Gemälde erinnern.
- Viele Computerspiele erzählen eine Geschichte, wobei sie sich in der Auswahl von Settings, Figuren und Handlungen häufig an populären Genres wie Fantasy, Science Fiction, Horror, Abenteuer oder Krimi orientieren und ihre Spieler in die Rolle von mächtigen Akteuren in epischen Szenarien versetzen.
- Alle Computerspiele sind regelbasierte Spiele, die durch Ziele, Herausforderungen, Handlungsmöglichkeiten, Ressourcen und Bedingungen für Sieg und Niederlage ihre Spieler zu bestimmten Spielhandlungen motivieren.
- Damit ein Spiel erlebbar ist, muss es durch die Performanz der Spieler hervorgebracht werden. Die Handlungen der Spieler vor dem Bildschirm sind von den Handlungen der Spielfiguren in der Spielwelt zu unterscheiden.
Besipiele dafür sind in der Präsentation im Rahmen der Fachtagung des Forum Medienpädagogik zum Thema „Digitale Spiele in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen“ zu finden.
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Relevanz von Bildwelten und Geschichte nimmt mit Spielerroutine ab
Diese vier Aspekte stehen keineswegs getrennt nebeneinander, sondern bilden ein komplexes, sich wechselseitig beeinflussendes Bedeutungsgefüge. Daraus folgt, dass Computerspiele nicht allein als narrative Bildwelten oder interaktive Filme zu interpretieren sind. Die Werte und Rollen, die ein Spiel dadurch repräsentiert, dass laut Regeln bestimmte spielimmanente Handlungen für das Erreichen von Siegzuständen erforderlich sind, lassen sich nicht allein aus den gezeigten Bildern und der Geschichte ableiten.
Die Relevanz beider Aspekte nimmt mit der Routine der Spieler ab. So verliert auch der visuell bombastischste Effekt mit Zeit und Wiederholung an Wirkung, und regelbezogene Performanz, d.h. das Erreichen eines Siegzustands durch geschicktes Spielen, gewinnt an Bedeutung.
Schach wäre heute ein Serious Game
Darin unterscheiden sich digitale Spiele wenig von ihren analogen Verwandten, den Brett-, Karten- oder Sportspielen. Schach war ursprünglich ein Trainingsspiel für indische Offiziere – heute würde man sagen ein Serious Game – eine Partie repräsentiert eine Schlacht von zwei Armeen unter Einsatz verschiedener Truppeneinheiten. Durch die Abstraktheit der Figuren treten im Spiel die militärische Erzählung und die noch im Begriff „Schlagen“ angedeutete Brutalität des Krieges in den Hintergrund. Der Schachmeister opfert bedenkenlos seine Figuren, wenn es hilft, den Sieg zu erringen und gilt damit als kluger und umsichtiger Stratege.
Benjamin Franklin beschrieb 1750 in seinem Aufsatz „The Morals of Chess“, welche Tugenden und gelebten Werte einen guten Schachspieler auszeichnen und seiner Auffassung nach durch das Spiel gefördert werden: Voraussicht, Umsicht, Vorsicht, Mut, Respekt, Fair Play, Geduld, Höflichkeit und Bescheidenheit. Ähnliche Tugenden lassen sich auch für Computerspiele formulieren.
Förderaspekt digitaler Spiele
James Gee hat 2003 in seinem Buch „What Video Games Have to Teach Us about Learning and Literacy“ den Förderaspekt von digitalen Spielen (frei übersetzt) formuliert: „Durch körperliche Erfahrung stellen Sie Bedeutung in einem multimodalen Raum her, um Probleme zu lösen und die Komplexität des Designs imaginierter Welten und den Aufbau von sowohl realen als auch imaginären Beziehungen und Identitäten in der modernen Welt zu reflektieren.“
(Anm. der Redaktion: Ob dieser Vergleich auch für Egoshooter oder Action-Spiele mit einer Altersfreigabe von 18 Jahren wie „Grand Theft Auto“ (GTA) greift, zog Jugendschützerin Verena Weigand bei der Fachtagung des Forums Medienpädagogik allerdings in Zweifel. Medienpädagogik reiche nicht, um Jugendschutzprobleme in den Griff zu bekommen.)
Entfalten Heldenerzählungen in bombastischen Bildwelten Wirkung?
Aus dieser Sicht sind die in Spielen aufgerufenen Regeln, Werte und Rollen nahezu unabhängig von den erzählten Bildwelten und ergeben sich ausschließlich aus dem sozialen Umgang mit komplexen Systemen. Diese Annahme einer Dominanz regelgeleiteter Spielerhandlung ist sicherlich genauso kritisch zu diskutieren wie ihr Gegenpart, wonach vor allem die epischen Heldenerzählungen in bombastischen Bildwelten Wirkung entfalten. Denn, so geht die Sorge weiter, diese leisteten einem unterhaltungsorientierten Eskapismus Vorschub und verhinderten eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt oder provozierten gar gewaltsteigernde Imitationshandlungen.
Gaming Literacy: Reflektierter Umgang mit Spielen will geübt sein
Wie so oft ist der Sachverhalt vielschichtiger. Digitale Spiele schaffen komplexe Bedeutungsangebote, die von mündigen Spielern, die sich des Als-OB-Charakters von Spielen bewusst sind, zur Kenntnis genommen und angemessen verarbeitet werden. Diese Mündigkeit, nennen wir sie Gaming Literacy, stellt sich aber nicht automatisch ein. Und sie wird nicht allein durch intensives Computerspielen erreicht.
Vielmehr ist es, wie bei jedem Medium, Aufgabe einer formellen oder informellen Medienpädagogik, den reflektierten Umgang mit Spielen zu fördern und gerade mit jugendlichen Spielerinnen und Spielern darüber ins Gespräch zu kommen.
Neben der Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft auf Seiten der Spieler erfordert das aber auch entsprechende Kompetenzen auf Seiten der Medienpädagogen bzw. der Eltern. Denn nur, wer dem Medium Computerspiel aktiv, souverän und unaufgeregt gegenübertritt, kann eine offene Diskussion über Werte, Rollen und Weltbilder führen, die durch Spiele angeregt oder in Frage gestellt werden. Gaming Literacy ist also Medienkompetenz, die geübt und pädagogisch begleitet werden muss.
Weitere Vorträge von der Fachtagung „Virtuell – verntzt – mobil: Digitale Spiele in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen“ sind unter medienpuls-bayern zu finden.
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