31.03
SXSW-Trends: Achtung, jetzt wird’s persönlich!
Messaging, Inhalte und Marken überall, außer auf der eigenen Webseite. So könnte man die Herausforderungen zusammenfassen, die ziemlich sicher bald auf uns zukommen werden. Das waren nämlich die SXSW-Trends, die dieses Jahr über die Podien der South by Southwest in Austin, Texas, wehten. Die SXSW ist eine der größten Konferenzen für Innovationen im Digitalen und auch für die Medienbranche regelmäßig ein Gradmesser.
Vier SXSW-Trends und wann sie zu uns kommen
Wie sicher solche Trends von der SXSW zutreffen? Machen wir doch zuerst mal kurz den Reality-Check: Schon 2015 haben wir uns in Austin umgehört und von Trends berichtet. Sind sie wirklich zu Themen geworden?
- Legacy Media ist nicht mehr in. Vergangenes Jahr fiel auf, welchen Stellenwert die neuen Medienunternehmen wie BuzzFeed mittlerweile auf den Podien und bei ihrem Publikum haben. Dieses Jahr hielt der Gründer von Vox Media die Medien-Keynote. Aber die Traditionsunternehmen kommen wieder – und punkten ebenfalls mit Innovationen. So verkauft die Washington Post mittlerweile nicht nur Zeitungen, sondern auch ihre digitalen Software-Tools, wie rp online berichtet.
- Content statt Links. Die Inhalte sollten da leben, wo die Nutzer sind, also auf den sozialen Netzwerken, sagte BuzzFeed-Gründer Jonah Peretti letztes Jahr. Facebook hat seine Instant Articles eingeführt, Snapchat Discover und die Medienhäuser haben sich angepasst. „Distributed Content“ heißt das Stichwort – das aber auch 2016 wieder diskutiert wurde (siehe Trend 3 unten).
- Gebt uns Nutzerdaten! Die Analyse von Daten, was der Nutzer wann und wie intensiv konsumiert, war 2015 Thema in jedem Panel. Diskutiert wurden die Tools und Möglichkeiten mit dem Tenor „Wir müssen jetzt.“ Das Thema hat den größten Sprung gemacht – dieses Jahr schien selbstverständlich, dass alles gemessen wird, was nur geht, und die Ergebnisse in die redaktionelle Arbeit einfließen. „Wir haben das gemacht. Reden wir nicht mehr drüber.
- Meerkat. DER große Trend 2015. Meerkat wurde ein paar Wochen nach der SXSW von Twitters hauseigener Lösung Periscope verdrängt. Passiert den besten Startups. Meerkat hat aber etwas angestoßen: Facebook zog mit Facebook Live nach und auch Google arbeitet an einer Lösung. Live Video ist für die Medienunternehmen DER nächste große Trend.
Aber zurück in die Gegenwart. Was wurde 2016 diskutiert?
Messenger: Interaktion mit Nutzern
Worum geht’s?
Versuche, Nachrichten über WhatsApp zu verbreiten, gab es in Deutschland ja schon mehrfach. Die jetzige Diskussion geht aber darüber hinaus. „Conversational journalism“ beschreibt eine neue Form der Interaktion mit Nutzern. Er kann sich Nachrichten in seiner Messenger-App quasi er-chatten.
Dabei profitieren nicht nur die Platzhirsche WhatsApp (in Europa) und Facebook Messenger. Auch bislang kleinere Messenger wie Telegram, Kik oder Line werden wichtiger, je mehr Möglichkeiten sie bieten. Mit zum Thema gehören Bots, die diese Nachrichten automatisch generieren, und Artifical Intelligence (AI), die es ermöglicht, dass der Bot richtig darauf reagiert, was der Nutzer sagt.
Wie weit sind die anderen?
Tatsächlich sind die Chinesen hier allen etwas voraus. In Asien ist der Messenger WeChat sehr beliebt. Darüber ist es bereits möglich, ein Taxi zu bestellen oder eine Pizza kommen zu lassen. Die amerikanische App Lark experimentiert mit einem persönlichen Diätcoach – bzw. Diätbot. Die ersten Ergebnisse: Menschen vergessen, dass sie mit einem Bot chatten, selbst, wenn man es ihnen noch einmal explizit gesagt hat. Und: Die Hemmungen sinken. So chatten Männer ganz gern über ihre Gewichtsprobleme, während sie im realen Leben eher weniger darüber reden würden.
Das birgt auch Potenzial für News. In diesem Bereich hat Quartz einen Vorstoß gemacht und imitiert mit seiner News-App eine Messenger-Oberfläche. Auf der SXSW kam das auf jedem Panel zur Sprache. Fazit der Messenger-Experten: Ein guter Start, aber noch längst nicht Endpunkt der Entwicklung.
Wann kommt’s?
Sowohl Bots als auch die zugehörige AI stehen noch am Anfang. Die aktuellen Lösungen beinhalten meist vorgefertigte Antworten, die der Bot eindeutig verstehen kann. Bald aber sollen Bots mehr können. Wie man Messaging nun wirklich für Journalismus einsetzen kann, darüber zerbrechen sich gerade viele Entwicklungsabteilungen ihre Köpfe. Deshalb sehen wir im Laufe des Jahres sicher mehr dazu. Die zwei wichtigsten Sätze in diesem Zusammenhang:
„Messaging Apps haben soziale Netzwerke in Sachen Nutzung bereits übertroffen, das kreiert ein enormes Potenzial.“ (Chris Messina, Developer Experience Lead bei Uber)
Und warum ist das so? Die Erklärung liefert Ashley Codianni von CNN: „Je überfüllter die sozialen Netzwerke werden, desto persönlicher werden die Leute in ihrer Kommunikation.“
Snapchat: Neuer Traffic-Generator
Worum geht’s?
2015 war mir kein explizites Panel zu Snapchat aufgefallen. 2016 gab es gleich ein paar davon – interessanterweise alle im Marketing-Zweig und nicht beim Content.
Bei den Marketern durchläuft das Netzwerk aktuell anscheinend die frühen Zeiten von Youtube. Wer schon auf Youtube aktiv ist, probiert es auch auf Snapchat und versucht sich dort eine Audience aufzubauen. Ein paar Schlüsselsätze aus den Diskussionen:
- Der größte Fehler ist es, nicht sofort auf neue Plattformen zu gehen, sondern erst anderen zuzuschauen, wie sie das machen.
- Auf allen neuen Plattformen muss man sich erst einmal ausprobieren. Irgendwann werden die Dollar schon zurückfließen.
- Snapchat hat das „Just like me“- Phänomen. Es ist authentisch, deshalb identifizieren sich die Nutzer leichter mit Stars oder Influencern als bei anderen Plattformen.
Interessant ist auch, dass das Problem der Abhängigkeit von Plattformen den Unternehmen durchaus bewusst ist. Man sollte nie auf nur eine Plattform setzen – wenn sie morgen abgeschaltet wird, ist dann auch die Audience weg. Die beste Währung sei immer noch, die Mailadressen der Nutzer einzusammeln.
Wie weit sind die anderen?
Snapchat hat Medienmarken verhältnismäßig früh einbezogen – über die Funktion „Discover“. Eine ganze Bandbreite von Medienhäusern – von CNN über BuzzFeed bis zur Cosmopolitan oder Vox.com und NowThis – ist dort schon vertreten und bereitet ihren Content für Snapchat auf.
Dort wird viel experimentiert – mit Erfolg. BuzzFeed erzählte auf der SXSW, dass 20 Prozent seiner Views mittlerweile auf Snapchat generiert werden.
Wann kommt’s?
In Teilen ist Snapchat ja schon da. Bei den deutschen Teenagern sowieso, gerade wurde bekannt, dass es in Deutschland mehr aktive Snapchat-Nutzer als auf Twitter gibt. Auch Medien experimentieren hier schon, allen voran die BILD-Zeitung unter dem Account @hellobild.
Wer mehr darüber hören möchte: Auf der BLM-Konferenz media.innovations am 27. April erzählt Manuel Lorenz, wie er den Kanal aufgebaut hat.
Distributed content: Herausforderung für den Newsroom
Worum geht’s?
Das Thema ist einfach weiter wichtig. Je mehr Plattformen auftauchen und Nutzer anziehen – siehe Snapchat – desto wichtiger wird es für Medienhäuser, ihre Inhalte dort zu platzieren. Dabei scheinen sich gerade zwei Strategien herauszukristallisieren. Die alte Frage: Wie bleibt man als Medienmarke sichtbar?
Marken wie Vox Media setzen auf so genannte Verticals, die für jede Nische eine eigene Sub-Marke betreiben. Vox.com kümmert sich um Nachrichten und Politik, The Verge um Gadgets und Technologie, Re/Code um den technologischen Lifestyle. Andere, wie CNN oder NowThis, verbreiten alles unter einer Marke. Alle aber, ob Sub- oder Haupt-Marke, sind auf mehreren Plattformen vertreten. Die Herausforderung: Alle Plattformen gleich gut bespielen.
Wie weit sind die anderen schon?
NowThis bespielt aktuell 16 verschiedene Kanäle und hat die Webseite abgeschafft. Buzzfeed sammelt seinen Traffic auf allen möglichen Plattformen ein. Wer so agiert, kann gar nicht anders, als seinen Newsroom umzubauen. Es gibt Teams, die pro Plattform arbeiten und dort genau wissen, was wie läuft.
Wann kommt’s?
Genauso wie Snapchat gibt es Distributed Content schon. Auch in den Newsrooms. Trotzdem herrscht hier ab und zu noch eine gewisse Skepsis, seine Inhalte auf Fremdplattformen zu verbreiten.
Die USA haben das schon überwunden, das zeigt dieser Satz von Ashley Codianni von CNN sehr gut: „Die Plattformen sind eine shared opportunity für uns. Wir haben beide etwas davon.“
Deshalb kann man sich von den Amerikanern gut einige Rezepte abschauen, zum Beispiel folgende:
- Distributed Content braucht ein großes Team, das für jede Plattform den Inhalt neu und unique aufbereitet.
- Distributed Content kann auch eine Strategie für eine erfolgreiche Monetarisierung sein, indem man über die Kanäle eine große Reichweite
aufbaut, die addiert und gesamt verkauft. - Was die nächste große Plattform ist, um seine Inhalte zu verbreiten? Messaging. Here we are again.
Virtual Reality: Zu erforschendes Terrain
Klingt jetzt alles noch nicht so überraschend und wahnsinnig neu? Mag sein. Vielleicht ist 2016 das Jahr gekommen, in dem wir nicht mehr von etwas gänzlich Neuem überflutet werden, sondern optimieren können, was und wie wir bislang Inhalte verbreiten.
Und wer sich doch lieber in fast völlig unerforschtes Gebiet stürzt – virtual reality überschwemmte die Panels dieses Jahr. Ich hatte angesichts zu vieler Parallel-Panels kaum eine Chance, tiefer in das Thema einzutauchen, aber ein paar gute Zusammenfassungen gibt es bei USA Today, vor allem über die Hardware, Spiegel Online über Nutzungsmöglichkeiten und adweek.com zu VR und Marken.
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