25.07
So geht Bayern gegen Hate Speech vor: Justiz und Medien – konsequent gegen Hass
Konsequent gegen Hass im Netz: Anlässlich des „Europaweiten Aktionstags für die Betroffenen von Hasskriminalität“ haben das Bayerische Justizministerium und die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) am 22. Juli 2020 bei einer Online-Veranstaltung eine erste Bilanz gezogen zur gemeinsamen Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“. Das Versprechen: Der Freistaat hat Hate Speech als Straftatbestand auf dem Schirm!
Justiz und Medien – konsequent gegen Hass im Netz
„Wir merken, dass sich in unserer Gesellschaft etwas zusammenbraut, das die Demokratie ernsthaft gefährdet und Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit hat. Wer die Meinungsfreiheit schützen will, der muss strafbaren Hass bekämpfen“, betonte der Bayerische Staatsminister der Justiz, Georg Eisenreich, in seinem Grußwort zur virtuellen Konferenz mit dem Titel „Justiz, Medien, Gesellschaft – gemeinsam gegen Hate Speech“.
Der frühere Digitalminister Bayerns, der Hassrede als „eine der negativen Folge der Digitalisierung“ bezeichnete, fürchtet die Wirkung von Drohungen im Netz auf Journalistinnen und Journalisten. Sie könnten sich in der Folge zurückziehen und nicht mehr berichten. Eisenreich machte bei der Veranstaltung klar: „Wer rassistische, antisemitische oder volksverhetzende Inhalte streut, muss in Bayern mit einer konsequenten Strafverfolgung rechnen.“
Justizminister Eisenreich und BLM-Präsident Schneider sehen erste Erfolge
Die ersten Ergebnisse des im Oktober 2019 ins Leben gerufenen gemeinsamen Projektes zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet zeigen laut BLM-Präsident Siegfried Schneider, dass die Initiative „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ wirkt: 106 Prüfbitten, 95 Ermittlungsverfahren und in 80 Fällen sind die Täter bereits ermittelt worden.
„Ein erster Erfolg und ein wichtiges Zeichen – zumal die Ermittlungen aufgrund schwieriger Täteridentifizierung oder Auslandstatbeständen sehr komplex sind“, hoben die beiden Partner im Kampf gegen Hate Speech hervor.
„Hass im Netz ist kein Kavaliersdelikt“, betonte Siegfried Schneider und lobte das Engagement der mehr als 100 Medienhäuser bei der Initiative #KonsequentgegenHass. Sein Appell: „Je mehr mitwirken, desto größer ist die präventive Wirkung.“ Schneider verwies auf Schulungen durch Polizei und Staatsanwälte, die Chefredaktionen seit dem Start angeboten wurden.
Es müsse „von oben her“ in Medienhäusern ein Gefühl dafür entwickelt werden, wo Meinungsfreiheit endet und Hasskriminalität beginnt, die dank der Initiative zur Anzeige gebracht werden könne. Das Fazit des BLM-Präsidenten: „Wir sind jetzt auf einem guten Weg. Nur löschen reicht nicht.“
Strafverfolgung statt Löschen – „Die Initiative fruchtet“
Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb, seit Jahresbeginn Hate Speech-Beauftragter der Bayerischen Justiz, führte diese Forderung weiter aus und verwies auf die im Frühjahr beschlossene Modifizierung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG). Danach sollen ab Sommer 2021 Betroffene leichter gegen Hassattacken vorgehen können. Im Gegenzug endet dann die aktuell gültige NetzDG-Vorgabe für die Plattformen. Sie sieht vor, dass Hasskommentare nur gelöscht, nicht aber zur Anzeige gebracht werden müssen. Hartleb, der die Hate-Speech-Beauftragten bei den 22 bayerischen Staatsanwaltschaften koordiniert und technisch berät, gab ein Ziel aus: Strafverfolgung statt Löschen.
Der Jurist nannte die bayerische Initiative von Justizministerium und BLM „sehr wichtig“, um es Medien bereits jetzt zu ermöglichen, vor der Löschung durch Facebook und Co. zu handeln. Im Mittelpunkt steht ein Formblatt, mit dem der konkrete Hinweis zusammen mit einem Screenshot betroffener Posts in die Cloud hochgeladen und dort rechtlich bewertet werden kann. Kommt es zu Ermittlungen und einer Strafanzeige, weil ein Post etwa dem Tatbestand der Volksverhetzung entspricht, drohen den Tätern Geldstrafen, Einträge ins Führungszeugnis oder gar Gefängnis. Laut Silke Bierl, Richterin am Amtsgericht München, effiziente Geschütze im Kampf gegen Hate Speech. Hartleb forderte beim virtuellen Event die Medienhäuser auf, so weiterzumachen. Seine Bilanz: „Die Initiative fruchtet.“
Ängste wegen Hate Speech in Redaktionen
Einer, der gerade eben für sein Haus erfahren hat, wie der Freistaat den Medien gegen Hass im Netz zur Seite steht, ist Gerald Huter. Eine Anzeige des Geschäftsführers des Schweinfurter Lokalsenders Radio Primaton löste diese Woche bayernweite Hausdurchsuchungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft aus. 17 Beschuldigte zwischen 21 und 69 Jahren müssen sich nun für den Tatbestand der Volksverhetzung vor Gericht verantworten.
Was war geschehen?
Radio Primaton hatte Mitte Februar eine Demonstration gegen die Bedingungen in einem Ankerzentrum in Schweinfurt gestreamt. In der Folge brach eine Kommentarflut über den Privatsender herein. Huter berichtete von zahlreichen Hass-Postings, die die Staatsanwaltschaft gesichert hat und die dem Tatbestand der Volksverhetzung entsprechen. „Wir haben uns einem Shitstorm ausgesetzt gefühlt, den wir so noch nicht erlebt hatten.“
In der Folge beschritt das Medienunternehmen den Klageweg über die bayerische Initiative gegen Hass im Netz – mit Erfolg. Doch die Razzia selbst hat sein Team nach Gerald Huters Angaben „mit gemischten Gefühlen“ verfolgt. So schilderte der Primaton-Chef den Fall einer Redakteurin, die Angst hatte.
Hass im Arbeitsalltag Medienschaffender
Kein Einzelfall, wie Dr. Andreas Zick mit seiner Studie „Hass und Angriffe auf Medienschaffende. Zur Wahrnehmung von und Erfahrungen mit Angriffen auf Journalist*innen“ bei der Digitalkonferenz belegen konnte.
Der Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) hatte bereits Ende 2019 bei einer Befragung von 322 „sehr diversen Journalist*innen“ registriert, dass 62 Prozent Hass-Postings als eine Bedrohung der journalistischen Arbeit wahrnehmen – mit der Folge, dass Themen ausgeklammert würden. Zick: „26 Prozent berichten dann nicht mehr zum Thema!“
Vor allem wenn über diverse Aspekte der Migration berichtet werde, würden von den Befragten in der Folge Hassbotschaften erwartet, führte der Bielefelder Wissenschaftler aus. Er konnte den Stand der Bedrohung aus dem Netz in Zahlen fassen: Ende 2019 hatten rund 60 Prozent der Befragten innerhalb der letzten 12 Monate Erfahrungen mit Hate Speech gemacht, 16 Prozent erhielten der Studie zufolge sogar Morddrohungen.
Zudem ergab die Untersuchung, dass sich 120 der Befragten gegen zunehmend aggressive Reaktionen aus dem Netz politisch-juristischen Beistand mit Strafverfolgung durch Politik und Gesetze wünschen würden.
„Digitale Empathie stärken“
Sorge bereitete Dr. Catarina Katzer bei der Online-Veranstaltung, dass die sich im Netz alltäglich gewordene Aggression inzwischen sehr stark real auf die Straße verlagere. Die Leiterin des Kölner Instituts für Cyberpsychologie & Medienethik skizzierte „eine sehr beängstigende Entwicklung“. Das Posten von Hasskommentaren auf dem heimischen Sofa entkoppele den Täter von seiner Tat. „Die Hemmschwelle fällt, um Hass gegen Personen auszuüben.“
Der Vorschlag der Cyberpsychologin lautete: „Wir müssen die digitale Empathie stärken.“ Katzer appellierte an die Zivilcourage der Gesamtgesellschaft: „Wir brauchen Menschen, die anderen den digitalen Spiegel vorhalten.“
Siegfried Schneider gab in der Diskussion zu bedenken: „Am Ende arbeiten wir an einem gesamtgesellschaftlichen Problem, es geht um Menschenrechte!“
Der BLM-Präsident verwies im Übrigen auf die Initiative Medienführerschein Bayern, die anlässlich des Aktionstages für die Betroffenen von Hasskriminalität eine Materialsammlung für Lehrkräfte und pädagogisch Tätige zur Verfügung stellt. Zu den Themen „Hate Speech“ und „Cyber-Mobbing“ finden sich neben Angeboten wie Unterrichtseinheiten, Videos oder Quiz auch Broschüren und Flyer zur Weitergabe an Eltern. Beratungsangebote, an die sich betroffene Jugendliche direkt wenden können, ergänzen das Themenspecial, das hier abrufbar ist.
Mehr Informationen:
Wie sich Medienhäuser an der Initiative beteiligen können und wer schon dabei ist, finden Interessierte auf der Website www.konsequentgegenhass.de. Dort sind auch Videobotschaften der Initiatoren und Unterstützer des gemeinsamen Projektes „Justiz und Medien – konsequent gegen Hass“ eingestellt.
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