02.06
„Be yourSELFIE!“ – ein Gespräch mit Medienpsychologin Astrid Carolus zur Selbstdarstellung im Netz
Das Selbstportrait ist als Selfie zum Massenphänomen der Gegenwart geworden. Doch warum inszenieren sich Kinder und Jugendliche so gern selbst im Netz? Darüber hat BLMplus mit der Medienpsychologin Dr. Astrid Carolus von der Universität Würzburg gesprochen, die bei der Fachtagung „Be yourSELFIE!“ am 14. Juni in der BLM über die Selbstdarstellung während der Identitätssuche spricht.
„Be yourSELFIE“: Selbstdarstellung im Netz
BLMplus: Wann haben Sie zuletzt ein Selfie von sich oder gemeinsam mit anderen ins Netz gestellt und warum?
Das habe ich von mir selbst tatsächlich noch nie gemacht. Ich bin auf ein paar Gruppenselfies mit drauf, die ich aber noch nie ins Netz gestellt habe. Zu den größten “Umschlagplätzen“ für Fotografien dieser Art gehören ja Facebook, Instagram oder Snapchat. Alles Plattformen, die ich aus medienpsychologischer Perspektive im Auge habe, auf denen ich mich privat aber so gut wie gar nicht bewege.
Die heute so typischen Selfies der Jugendlichen gibt es von mir nicht: In meiner frühen Jugend – während meiner Phase der Identitätssuche – hat „dieses Internet“ in seiner heutigen Form noch nicht existiert. Und damit gibt es – glücklicherweise – auch keine im Internet dokumentierten Fotos von rückblickend womöglich eher peinlichen Ereignissen meiner Jugend. Nicht zuletzt bin ich als Medienpsychologin von Berufs wegen eher vorsichtiger in puncto Soziale Netzwerke als andere.
Das Selfie nutzen insbesondere Kinder und Jugendliche zur Selbstdarstellung im Netz. Welche Beweggründe haben sie dafür aus medienpsychologischer Sicht?
Da geht es natürlich schon darum, sich selbst zu zeigen und zu inszenieren. Diese Inszenierung geschieht immer auch mit Blick auf andere, ist also auch eine Art von Kommunikation. Praktischerweise ist das Selfie so schnell und einfach gemacht. Kein Vergleich zu früher. Selbstportraits konnten sich damals nur die Reichen und Mächtigen leisten. Könige beispielsweise ließen sich gern malen. Es ist davon auszugehen, dass auch hier getrickst und geschummelt wurde.
Der Wunsch nach Selbstdarstellung ist zutiefst menschlich
Heute haben wir es viel einfacher: Das Selfie ist eine sehr kostengünstige und schnelle Form der Selbstinszenierung. Und, noch ein Unterschied zu früher: Potentiell kann unser Selfie heute um die ganze Welt gehen. Allerdings bleibt es meistens, wenn wir uns die Statistiken mal anschauen, doch im engeren persönlichen Umfeld. Wenn man sich jetzt überlegt, was unsere Beweggründe sind, dann zeigt der Blick zurück in die Vergangenheit: Neu ist das Ganze nicht, nur heute ist es eben einfacher und (vermutlich) daher weiter verbreitet.
Aus psychologischer Sicht überrascht das insofern nicht, als dass der Wunsch, sich selbst darzustellen, ein zutiefst menschlicher ist. Und das gilt für alle Altersgruppen. Wir sind soziale Wesen, leben in Gruppen. Wir wollen – in einer bestimmten Form – von anderen gesehen werden. Daher ist die Selbstdarstellung für uns wichtig, nicht nur in Form von Selfies. Denken wir nur an den Beruf, an Vorstellungsgespräche, an erste Dates usw. Ein Stück weit inszenieren wir uns doch immer. Das erklärt auch, warum Selfies nicht nur bei Jugendlichen, sondern in fast allen Altersgruppen zum Massenphänomen geworden sind.
Auseinandersetzung mit dem Selbst ist entwicklungspsychologische Aufgabe
Für Kinder ist die Auseinandersetzung mit dem Selbst, also mit den Fragen, wer sie sind, wie sie sein wollen und wie sie gesehen werden, eine wesentliche entwicklungspsychologische Aufgabe. Während sich sehr kleine Kinder kaum für das eigene Bild interessieren, wird dieses mit zunehmendem Alter immer wichtiger. Besonders wichtig ist die Sicht der „peers“, der Gleichaltrigen, der Freunde und der Klassenkameraden/innen. Und die trifft man eben heute auch online.
WhatsApp oder Snapchat sind ein wesentlicher Teil der Kommunikation geworden. Und natürlich geht es auch dort darum, gesehen zu werden. Für Kinder und Jugendliche finden diese wichtigen Erfahrungen in Richtung Selbsterkenntnis heute also offline und online statt.
Lässt sich der „Wert des Ichs“ im Netz durch die Selbstinszenierung in Sozialen Netzwerken überhaupt steigern?
Selbstwert ist ein komplexes Konstrukt. Aber klar ist, dass die Selbstinszenierung heute weiterhin offline geschieht: Wie stehe ich in der Klasse da, wie in meiner Clique? Habe ich das Gefühl, angenommen und akzeptiert zu sein? Allerdings ist mit der Online-Welt eine Facette hinzugekommen. Offline und Online-Darstellung greifen ineinander.
Standing in der Gruppe ergibt sich auch aus Profilen im Netz
Mein „Standing“ in der Gruppe ergibt sich jetzt auch (!) aus meinen Profilen im Netz. Was ich auf Facebook schreibe und in welchen WhatsApp-Gruppen ich mich wie verhalte, kann zu dem Bild, das andere von mir haben, beitragen. Ich bekomme auch dort Rückmeldung.
So ist es zum Beispiel total wichtig, wie oft und von wem das neue Profilbild „geliked“ wird. Was natürlich auch gleich auf die Kehrseite der Medaille hinweist. Neben der positiven Rückmeldung kann es auch negative Kommentare und Reaktionen geben. Das ist offline zwar nicht anders, online kommen aber noch einmal neue Qualitäten hinzu.
Denn so, wie es (theoretisch) möglich ist, dass mein Selfie die gesamte Welt erreicht, ist es nun auch möglich, dass „alle“ mitbekommen, was unter mein Profilbild geschrieben wird. So kann eine Lawine ins Rutschen kommen, die nur schwer aufzuhalten und für den Betroffenen schwer auszuhalten ist.
Wo ziehen Sie die Grenzen bei der Selbstdarstellung/Selbstinszenierung von Kindern und Jugendlichen im Netz? Was würden Sie Eltern in dieser Hinsicht raten?
Dass die Eltern besorgt sind, liegt vielleicht einfach in der Natur der Sache und war früher nicht anders. Heute müssen sich Eltern allerdings mit neuen Fragen auseinandersetzen, die Sorgen bereiten können: Was macht mein Kind online? Was passiert da eigentlich genau? Das können Eltern meist gar nicht so richtig nachvollziehen.
Auch das war früher nicht anders: Eltern wussten ja nie so genau, was ihre Kinder taten, wenn sie „draußen unterwegs“ waren. Und das, was sie dann zuhause erzählten, musste ja auch schon früher nicht zu hundert Prozent der Wahrheit entsprechen. Das Problem mit dem „Online sein“ der Kinder ist: Viele Eltern kennen sich mit diesem Medienphänomen nicht so gut aus.
Erziehung findet jetzt auch mit Blick auf Online-Verhalten statt
Oftmals bekommen Erziehungsverantwortliche lediglich die medial vermittelten Risiken der neuen Medien mit, häufig zusammengetragen durch Journalisten, die eher der Altersgruppe der Eltern entsprechen. Deren Fokus liegt oft auf den negativen oder befürchteten Folgen der medialen Selbstdarstellung, weniger auf den Chancen. Und noch weniger auf der Perspektive der jungen Nutzerinnen und Nutzer.
Das ängstigt die Eltern. Zumal, wenn sie nicht richtig verstehen oder nachvollziehen können, was genau das Kind mit WhatsApp oder Snapchat tut. Mein Rat an die Eltern: sich informieren und sich mit den Kindern austauschen, was sie „online“ so treiben. Interesse zeigen, vielleicht selbst mal die Applikationen austesten und versuchen, die Faszination nachzuvollziehen.
Grundsätzlich gilt: Erziehung findet eben jetzt auch mit Blick auf das Online-Verhalten der Kinder und Jugendlichen statt. Auch hier hat sich die Perspektive erweitert.
Zur Person
Dr. Astrid Carolus studierte Psychologie und BWL (Personalmanagement) an der Universität des Saarlandes. Seit 2013 leitet sie das Projekt „Cyberpsychology“. Die Ernennung zur Akademischen Rätin erfolgte 2016. Freiberuflich ist sie als Beraterin und Coach tätig. In Forschung und Lehre befasst sich Astrid Carolus mit dem menschlichen Denken, Fühlen und Handeln im Umgang mit Medien. Im Fokus stehen Smartphones als unsere digitale Begleiter, unser Nutzungsverhalten sowie psychologische Funktionen und Effekten.
Veranstaltungshinweis
Die Anmeldung zur 2. Fachtagung Jugendschutz und Nutzerkompetenz „Be yourSELFIE! – Worauf junge Nutzer bei der Selbstdarstellung im Netz achten sollten“ ist kostenlos möglich. Sie findet am 14. Juni 2016 von 11.00 bis 15.45 Uhr in der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien statt. Zu den Referenten/innen gehören außer Dr. Astrid Carolus (Universität Würzburg) u.a. noch Kunsthistoriker Dr. Ulrich Blanché (Universität Heidelberg), Fabian Frank (iRights.Law) und die Publizistin Anke-Domscheit Berg.
Publikationshinweis
Wie Eltern zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der medialen Selbstdarstellung ihrer Kinder beitragen können und was in puncto Selbstdatenschutz beachtet werden sollte, ist der neuen BLM-Broschüre „Selbstdatenschutz – Tipps, Tricks und Klicks“ zu entnehmen.
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