Di
14.10

Recht auf „Vergessenwerden“

von Prof. Dr. Hubertus Gersdorf unter Netzwelt

Auch Intermediäre wie Suchmaschinen genießen Presse- bzw. Rundfunkfreiheit, kommentiert Prof. Dr. Hubertus Gersdorf das Google-Urteil des Europäischen Gerichtshofes  zum Recht auf „Vergessenwerden“. Über die Frage, wie weit die Rundfunkfreiheit bei Intermediären reicht, referierte Gersdorf auch beim BLM-Symposion Medienrecht 2014.

Spätestens seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Google-Suchmaschine im Frühjahr 2014 ist deutlich geworden, dass zwischen dem Datenschutzgrundrecht und den Kommunikationsgrundrechten ein Spannungsverhältnis entstehen kann. Während Persönlichkeitsrechte vor der Erhebung, Speicherung und Weitergabe personenbezogener Daten schützen, ist journalistische Arbeit auf umfassende Informationsbeschaffung angewiesen.

Lanze für weitgehenden Persönlichkeitsschutz

Illustration zum Recht auf "Vergessen werden"

Mit dem Google-Urteil hat der Europäische Gerichtshof die Büchse der Pandora geöffnet. Foto: Mark Rubens/Fotolia

Medienfreiheiten enthalten ein Grundrecht auf Erhebung, Speicherung und Weitergabe (Veröffentlichung) personenbezogener Daten. Am Beispiel der Google-Suchmaschine hat der Europäische Gerichtshof nunmehr eine Lanze für einen weitgehenden Persönlichkeitsschutz gebrochen. Um was ging es in diesem Fall? Im Frühjahr 1998 erschien in einer katalonischen Tageszeitung zwei Mal eine Anzeige, in der über die Zwangsversteigerung eines Grundstücks von Senior González wegen einer Forderung der Sozialversicherung informiert wurde.

Im Frühjahr 2010 wandte sich Senior González deshalb an die spanische Datenschutzagentur und verlangte die Löschung der Onlinepublikation der Tageszeitung bzw. die Anonymisierung der Veröffentlichung. Die Datenschutzagentur lehnte dies mit Blick auf das Ziel einer größtmöglichen Publizität der Zwangsversteigerung ab. Dem weiteren Anspruch von Senior González auf Löschung der Links in der Google-Suchmaschine auf die Onlineanzeige der Tageszeitung gab die Datenschutzagentur dagegen statt. Dagegen wandte sich Google vor den Gerichten, was zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes führte.

Vorrang der Persönlichkeitsrechte vor Informationsinteresse

Der Gerichtshof geht von einem prinzipiellen Vorrang der Betroffenenrechte gegenüber den Informationsinteressen der Nutzer aus. Nur ausnahmsweise, in „besonders gelagerten Fällen“, könne das Informationsinteresse vorgehen. Der Gerichtshof nennt dafür eine Reihe von Kriterien wie die Art der betreffenden Information, die Schwere der Beeinträchtigung der Betroffenenrechte und das Gewicht des Informationsinteresses, das insbesondere nach der Stellung des Betroffenen im gesellschaftlichen Leben variiere (Public Figure).

Die Entscheidung wirft zahlreiche Fragen auf. Gewiss führt das vom Gerichtshof geforderte Recht auf „Vergessenwerden“ zu keinem fundamentalen Eingriff in die Meinungs- und Informationsfreiheit. Denn der Gerichtshof betont ausdrücklich, dass „in besonders gelagerten Fällen“ das Informationsinteresse Vorrang vor den Persönlichkeitsrechten beanspruchen kann. Anlass zur Kritik gibt die Entscheidung jedoch, weil der Gerichtshof einen Anspruch auf Löschung der Links in der Suchmaschine auch dann bejaht, wenn die verlinkte Website im Netz weiterhin verfügbar ist.

Zu den Konsequenzen, die sich aus der Differenzierung zwischen der Zulässigkeit der Links und der Zulässigkeit der verlinkten Website ergeben, schweigt sich der Gerichtshof aus. Ist es nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes einem Blogger also verwehrt, in seinem Beitrag einen Link auf eine solche Website zu setzen? Dürfen Medien darauf verweisen? Und sind neben Google auch Suchmaschinen von Medienhäusern, die mit den Inhalten anderer Medien vernetzt sind, von der Entscheidung betroffen, so dass auch ihnen eine Verlinkung verboten wäre?

Büchse der Pandora geöffnet

Der Gerichtshof hat mit seiner Entscheidung die Büchse der Pandora geöffnet. Entgegen der Ansicht des Gerichtshofes verfolgen Suchmaschinen nicht nur „wirtschaftliche Interessen“. Sie nehmen Such- und Orientierungsfunktionen wahr und ergänzen damit die Arbeit der klassischen Medien. Obgleich ihre Algorithmen inhaltsneutral sind, genießen sie den Schutz der Medienfreiheiten. Auf zulässige Websites im Internet müssen alle am Kommunikationsprozess Beteiligten Bezug nehmen dürfen, seien es Medien, professionelle und nichtprofessionelle Blogger oder Suchmaschinen. Der Schutz der Kommunikationsordnung ist umfassend und erstreckt sich auf Intermediäre wie Suchmaschinen, die als „fünfte Gewalt“ aus der modernen Massenkommunikation nicht mehr weg zu denken sind.

 

Hintergrundinfo der Redaktion: Google hat einen internationalen Experten-Beirat einberufen, der darüber beraten soll, wie das Recht einer Person auf Vergessenwerden gegen das Recht der Öffentlichkeit auf Informationen abgewogen werden kann. Die Sitzungen des Beirats sind öffentlich.

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