10.11
Wie das Radio sich für die Zukunft rüstet – Rückblick auf die Medientage München
Radio hat noch nichts von seiner Attraktivität verloren. Zumindest nicht für diejenigen, die darin arbeiten. Das zeigte sich wieder auf den diesjährigen Medientagen München. Die Themenpalette in der Hörfunkschiene reichte von der Vielfalt der Audioangebote im Netz über innovative Ideen für das Radio bis zum Kampf um die mobile Relevanz auf den Displays im Auto. Radio, so hieß es immer wieder, sei ein Medium, um das es sich zu kämpfen lohne. An Herausforderungen mangelt es jedenfalls nicht.
Radio zukunftsfest machen: Beispiel DAB+
Der Digitale Übertragungsweg wird UKW irgendwann auch in Deutschland ablösen, darin sind sich die meisten privaten und öffentlich-rechtlichen Anbieter mittlerweile einig. Doch weiterhin weiß keiner, wie lange die Übergangsphase noch andauern wird. Im europäischen Ausland wie der Schweiz, Großbritannien und den Niederlanden scheint die digitale Migration leichter von statten zu gehen. Das ließ zumindest der Titel des Panels „DAB+ International – Was Deutschland von Europa lernen kann“ vermuten. Die wichtigsten Punkte auf der To Do-Liste nach der Diskussion mit internationalen Radiomanagern: Schulterschluss unter den Programmanbietern, Kreativität in den Programmangeboten und eine stärkere finanzielle Unterstützung auch für die Privaten während des Simulcastbetriebs.
Ulrich Liebenow, Betriebsdirektor beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und Vorsitzender der Produktions- und Technik-Kommission von ARD und ZDF, stellte eine Roadmap für den Umstieg vor, wie sie der ARD vorschwebt. Mit dem Beginn der Migrationsphase rechnet Liebenow „schon“ 2018: Sobald 95% der Fläche Deutschlands mit DAB+ versorgt sind und wenn 30% der Geräteverkäufe DAB+ fähig sind. Momentan erfüllten im Handel 19 % der verkauften Radioempfänger diese Bedingung. Als Grundvoraussetzung forderte Liebenow, dass frei werdende UKW-Frequenzen nicht mehr neu vergeben werden.
Hat der Privatfunk noch Zukunft?
Das ist auch ganz im Sinne von Antenne Bayern Geschäftsführer Karlheinz Hörhammer – Frequenzwechsel, wie sie der Bayerische Rundfunk für 2018 mit seinem Jugendprogramm Puls und BR-Klassik plant, eingeschlossen. Durch die Re-Analogisierung des digitalen Jugendprogramms befürchten die Privatfunker im Freistaat große Nachteile.
Überhaupt fand es Hörhammer an der Zeit, mal ausführlich über die Situation im Privatfunk zu sprechen: “Der Hörfunkwerbemarkt stagniert. Selbst wenn er um 10 Millionen wächst, sind dort sofort 100 neue Player, die sich auch aus diesem Topf alimentieren wollen.“ 70 Prozent der weltweiten Umsätze aus dem digitalen und mobilen Bereich vereinten die beiden Internetgiganten Google und Facebook auf sich. „Eine Konzentration in der Form, wie ich sie im Medienmarkt noch nie erlebt habe.“
Fast klingt es, als ob der Radiomanager schon resigniere. Auch die Politik sei gefordert. Es sei eine nicht mehr zeitgemäße Wettbewerbsverzerrung, wenn für internationale Konzerne andere, vorteilhaftere Spielregeln gelten. Neue Modelle müssten her, oder die internationalen Player dazu gebracht werden, sich an die gesetzlichen Normen in Deutschland zu halten.
Hinzu komme der Zwang, auf allen Plattformen senden zu müssen. Ein Return of Investment für die technische Verbreitung sei erst mal nicht in Sicht. Und Lokalfunker, so warnt der Antenne-Bayern-Chef, werden die lange Übergangsphase von UKW zu DAB+ aus eigener Kraft kaum schaffen.
Finanzspritze kommt
Müssen sie auch nicht, zumindest nicht in Bayern, beschwichtigten BLM-Präsident Siegfried Schneider und Staatsminister a.D. Erwin Huber. Nach Hubers Erkenntnis „kratzen die Lokalfunker tatsächlich am Existenzminimum“. Das Problem sei erkannt, den lokalen privaten Rundfunk will laut Huber aufgrund seiner regionalen Vielfalt und lokalen Kompetenz keiner missen. Nicht nur die Bayerische Landeszentrale für neue Medien, auch der Freistaat Bayern werde ab dem kommenden Haushalt tiefer in die Tasche greifen. Rund 3,5 Millionen Förderung pro Jahr seien angedacht für den technischen Ausbau.
Ansonsten will sich die Politik der Förderung enthalten, um den Rundfunk parteipolitisch nicht abhängig zu machen. Qualität habe schließlich auch mit Staatsferne zu tun. Eines aber musste Huber, wenn auch schmunzelnd, angesichts der vielen DAB-Diskussionen noch los werden: „Ich muss hier mal was bekennen. Ich habe ja viele Knöpfe in meinem Leben bewegt und gedrückt, aber DAB – das war der miserabelste.“
Zum Schluss traf der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Medien im Bayerischen Landtag einen ganz wunden Punkt: „Die Mediengewohnheiten bei der jungen Generation verändern sich, das Internet ist der entscheidende Informationsträger. Es setzt private und öffentlich rechtliche Anbieter gewaltig unter Druck. Gibt es sie in zehn Jahren noch angesichts der Konkurrenz des Internets?“ Das sei für ihn die entscheidende Herausforderung für das Radio.
Content ist King – nur so ein Spruch?
Diese Frage stellte Michael Hanfeld, Medienredakteur der FAZ, als Moderator des Panels „Future Proof – Was macht Radio zukunftsfest?“ seinen Diskussionsteilnehmern. Womit wir bei den Inhalten, der Kreativität der Programmangebote und der Vielfalt im Digitalen, wären, die – wie oft in solchen Diskussionsrunden – leider auch in München etwas zu kurz kamen. Warum das so sei, glaubt der Medienwissenschaftler Hermann Rotermund erkannt zu haben.
Die Konzentration auf DAB+ als Verbreitungstechnik verstelle offensichtlich den Diskutanten den Blick auf den tatsächlichen digitalen Wandel, warnte Rothermund in München. DAB+ sei nicht die digitale Transformation. Vielmehr gebe es jenseits des digitalen Grabens „ein Land“, in dem die digitale Transformation zu leisten sei, nämlich die Netzumgebung. Dort spiele Content eine weit entwickeltere Rolle als einfach nur das lineare Radio, selbst wenn dieses angereichert sei mit schönen Bildern.
Es gehe bei der digitalen Transformation um die Einbettung aller Radioprogramme, aller redaktionellen Anstrengungen, in die Interaktion mit den Nutzern. Es gehe um die ständige direkte Kommunikation.
Und Rothermund geht noch einen Schritt weiter: „Ich befürchte, dass die 500 Millionen bis eine Milliarde, die die Umstellung auf DAB+ als Transformation kosten soll, eine Art Sterbehilfe für die Gattung Radio ist. Dabei wird nämlich versäumt, tatsächlich zukunftsfähige Konzepte für die Netzumgebung zu entwickeln.“
Mach dir die App zu nutze
Kann man so sehen – muss man aber nicht. Gerade die öffentlich-rechtlichen Radioanbieter sind bereits seit Jahren heftig im Netz am Ausprobieren, was geht und was nicht. Mit dem Jugendangebot „Funk“ von ARD und ZDF ist wohl gerade das größte und teuerste Experiment für zukunftsfähige Konzepte im Netz gestartet worden, Audio eingeschlossen. Auch das Programm der Medientage München hatte vor allem am 2. Radiotag inhaltlich viel Innovatives und Netzaffines zu bieten. Beispielsweise mit dem „Trend-Check“, wo in kurzen Pitches neue Radio- und Audioideen vorgestellt wurden.
Ein absolutes Highlight, und schon auf den Nürnberger Lokalrundfunktagen ein Glanzlicht, dort allerdings noch via Skype aus Florida zugeschaltet, war der eigens nach München eingeflogene Moderator und Snapchat- Star Mark Kaye. In einem inspirierenden Vortrag schilderte er, wie er sich die Video-App mit dem gelben Geist namens „Snapchat“ zu nutze mache, um seine eigene Popularität zu steigern.
Warum Medienschaffende mit Snapchat arbeiten sollten, erklärt er im Interview mit der BLM.
Snapchat und erfolgreiche Radiomoderation haben für Kaye vieles gemeinsam: Kurze Takes, Information und Unterhaltung, Interaktion. Er macht auf Snapchat das, was er am besten kann: Stars und Leute interviewen. „Talkin’ Snap mit Mark Kaye“ ist mittlerweile USA-weit eine beliebte Radiosendung mit Social Media-Einbindung.
Wachsender Innovationsdruck auf das Radio
Auch Helen Boaden, die scheidende Direktorin von BBC Radio und Präsidentin der European Digital Radio Alliance (EDRA), berichtete vom wachsenden Innovationsdruck auf das Radio aus dem Netz. „Listen, Look, Share“, so laute die BBC-Strategie, um junge Zuhörer bei der Stange zu halten. Die BBC sei auf allen relevanten Plattformen und Social-Media-Kanälen im Netz präsent. BBC 1 ist mit 3,1 Millionen Abonnenten mittlerweile der weltweit erfolgreichste Radiosender auf Youtube. Hören Sie Boadens Antworten auf die Frage nach den größten Herausforderungen der Zukunft:
Podcasts – Es sind genug Ohren für alle da
Podcasts erleben gerade ein Revival. Können Radiomacher von Podcastern lernen – oder eher umgekehrt? Und welche Vermarktungschancen eröffnen sich? Zwei Thesen stellten die Podcast-Profis im Panel über das Revival der Podcasts auf: Podcast und Radio sei „Same – same but different“, meint Maria Lorenz, Podcastproduzentin bei Poolartist. Sie will erst gar kein Konkurrenzdenken aufkommen lassen, denn „Ohren seien genug für alle da“.
Und: „Podcasts werden als Marketingkanal total unterschätzt“, meint Marcus Engert, Chefredakteur und Mitbegründer von detektor.fm aus Leipzig. Die Vermarktungslandschaft verstehe noch zu wenig, wo der Mehrwert liege, fürchtet Engert. Dabei gäbe es kaum was sinnvolleres, als Podcasts für ganz spezielle Zielgruppen zu sponsern: „Das ist sinnvoll angelegtes Geld. Keinerlei Streuverluste. Man kommt ganz spitz an seine Zielgruppe, wenn man zum Beispiel Podcasts zu Themen wie Reise, Auto oder Gesundheit sponsert.“
Mittlerweile drängen auch Streamingplattformen wie Audible in den Markt. Im Sommer hat der Amazonableger via „Call for Papers“ Journalisten, Podcaster und Radiomacher aufgerufen, serielle Podcastkonzepte einzureichen. Die besten Konzepte erhalten von Audible den Auftrag und ein Budget von maximal 3.000 Euro zur Produktion einer Pilotfolge.
Nils Rauterberg, Geschäftsführer von Audible, zeigt sich von den Rückmeldungen positiv überrascht. Von rund 180 Einsendungen haben es 35 in die engere Wahl geschafft, darunter etablierte Medienmarken. Besonders beliebt seien investigative Formate: „Wir leben in einer Zeit, in der die News von Schnelllebigkeit getrieben werden. Hier tiefer zu recherchieren, mehr Zeit zu investieren, Betroffene zu interviewen, das könnte ein spannendes Feld für zukünftige erfolgreiche Podcast werden“, glaubt Rauterberg.
Neue Zielgruppen für die Radiozukunft
Gewissermaßen ein Revival könnten auch die Webchannels privater Radiostationen erleben. Rund 15 davon gibt es alleine auf der Website von Antenne Bayern. Sie heißen „WorkoutHits“, „Fresh4You“, „Alpensound“ oder „Weihnachtshits“ und sind bisher in der Mehrzahl reine Musikstreamingdienste.
Werbung gibt es schon, allerdings noch „in homöopathischen Dosen“, meint Antenne Geschäftsführer Karlheinz Hörhammer. Jetzt plant das Unternehmen, Moderationsschienen und zusätzlichen redaktionellen Content. Warum nicht auch Podcasts? Ziel der Aktion: „Wir versuchen, uns neue Zielgruppen zu erschließen“, sagt Hörhammer.
Noch mehr Infos, Fotos, Vorträge und Pressemitteilungen zur Radioschiene gibt es in der Mediathek der Medientage München.
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