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Mehr Speed im Produktionsprozess – Interview mit TV-Regisseur Wolfgang Lanzenberger

von Wolfgang Scheidt unter TV

Seit 34 Jahren macht Wolfgang Lanzenberger, 62 Jahre, Live-Fernsehen. Als Regisseur hat er das deutsche Privatfernsehen mitgestaltet, hautnah die Sendestarts von Eureka/ProSieben, DSF und N24 miterlebt. Als Leiter Regie bei Seven.One Production gewinnt er der Corona-Krise, die für alle Beteiligten eine Herausforderung darstellt, auch Positives ab. Als Dozent und Fachbuchautor gibt er sein Wissen an eine junge Generation von Medienschaffenden weiter. blmplus hat ihn gefragt, wie Corona den Produktionsalltag geändert hat.

blmplus: Trennwände, Maskenpflicht, Videokonferenzen, CvDs, die vom heimischen Sofa aus Sendungen fahren. Hat die zweite Covid-19-Welle die tägliche Regiearbeit von Liveproduktionen wie ‘Galileo‘, ‘taff‘ oder ‘red.‘ in Richtung „Geisterfernsehen“ verändert?

 

Regisseur Wolfgang Lanzenberger im Playout-Center in Unterföhring. © Seven.One Production

Wolfgang Lanzenberger: Zugegeben, wenn man durch die verlassenen Flure streift oder in der verwaisten Kantine sitzt, dann hat das schon etwas Geisterhaftes. Aber das heißt ja nicht, dass nichts getan wird. Ganz im Gegenteil: Wir arbeiten auf Hochtouren, nur räumlich getrennt voneinander. Da die Anzahl der zugelassenen Personen in geschlossenen Räumen beschränkt ist, schaltet sich die Redaktion per Videokonferenz in den Regieraum dazu. Die Chefin oder der Chef vom Dienst steuert die Sendung vom Redaktionsbüro oder von zu Hause aus. Sie oder er kann direkt auf das Ohr des Moderators sprechen und mitverfolgen, was genau in der Regie passiert. Das klappt ausgesprochen gut. Ich kann mich an keine Situation erinnern, die sendegefährdend gewesen wäre. Stellenweise habe ich das Gefühl, dass wir durch die Pandemie-Situation vielfach noch effektiver zusammenarbeiten.

 

Als Leiter Regie sind Sie für Studio-Umsetzung, Teamführung und einen reibungslosen Sendeablauf verantwortlich. Welches sind die gravierendsten Veränderungen im Live-Betrieb?

Wolfgang Lanzenberger: Man gewöhnt sich erstaunlich schnell an neue Realitäten. Etwa, dass vor Dienstantritt jeder Arbeitsplatz und jede Kontaktfläche, also Mischpulte, Bedienpanels, Kommandoanlagen, Computertastaturen und Telefone sorgfältig desinfiziert werden müssen. Das Arbeiten mit Masken war anfangs gewöhnungsbedürftig und ist längst eine Selbstverständlichkeit. Es ist zwar anstrengend, aber machbar. Einzig: die Verständlichkeit leidet manchmal unter der Maske. Darüber hinaus sind wir durch Plexiglaswände, die unsere Arbeitsplätze im Regieraum trennen, gut voneinander abgeschirmt. Die akustische Situation ist eine andere. Regieansagen mache ich deshalb laut und bestimmt, damit nichts untergeht. Wir sprechen insgesamt weniger miteinander. Es gab schon lustigere Zeiten, aber wir lassen uns die gute Laune nicht nehmen.

Größerer Stellenwert von Live-Fernsehen in Corona-Zeiten

Bildregie „Galileo“ mit Corona-Schutzmaßnahmen. © Seven.One Production

Für die Seven.One Entertainment Group arbeiten Sie seit 30 Jahren – ist in Krisenzeiten solides Handwerk essentieller denn je?

Wolfgang Lanzenberger: Absolut. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, wie stabil und robust man aufgestellt ist. Wenn im Produktionsbetrieb auf Routinen und ein eingespieltes Team zurückgriffen werden kann, ist das ein großes Plus. Wir spüren in diesen Tagen mehr Wertschätzung für unsere Arbeit. Die Nachfrage im Bereich Inhouse-Produktionen ist seit der Krise gestiegen. Das aktuelle Live-Fernsehen hat einen größeren Stellenwert erlangt, nicht zuletzt deshalb, weil das Bedürfnis nach Informationen im Alltagsleben der Menschen eine größere Rolle spielt.

Tagesaktuelle Corona-Update-Sendungen und Covid-19-Sondersendungen wurden vom Produktionsteam gestemmt. Ein Kraftakt?

Wolfgang Lanzenberger: Die Vorbereitungszeiten und Vorläufe sind teilweise extrem kurz. Die Herausforderung besteht vor allem in der Planungsphase und in der Personaldisposition. Aber von einem Moment auf den anderen live ‘on air‘ zu gehen, gehört zu unserem TV-Handwerk. Natürlich macht es einen Unterschied, ob man mit einem Moderator sendet, oder einen Studio-Talk mit fünf Personen und mehreren Kameras zu stemmen hat. Was das Learning betrifft, würde ich mir hier und da noch flexiblere Studiosets wünschen. Ein Multi-Funktionsstudio etwa, das sich schnell umrüsten lässt, um auf wechselnde redaktionelle Anforderungen adäquat reagieren zu können, wäre ein Weg in diese Richtung.

Neue und junge Kolleginnen und Kollegen während der Pandemie einzulernen, ist eine Herausforderung – wie lässt sich Herzblut und Kreativität fürs Live-Fernsehen in diesen Zeiten vermitteln?

Wolfgang Lanzenberger: Es tut mir in der Seele weh, dass wir im Regieraum derzeit nicht ausbilden können. Auch im Studio ist Ausbildung nur bedingt, jedenfalls nicht in Gruppen, möglich. Wir halten uns strikt an die RKI- und Covid-19 Arbeitsschutzverordnung und tun sehr viel für die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Besonders sensible Räume sind mit UV-C-Luftreinigungsgeräten und CO2-Ampeln ausgestattet. In der Praxis sind wir dazu übergegangen, überwiegend virtuell zu schulen, um die Anzahl der Kontakte möglichst gering zu halten. Schließlich sollen sich alle sicher fühlen. Die Aufrechterhaltung des Live-Betriebes hat oberste Priorität. Manchmal finden unsere Ausbildungs-Meetings, trotz winterlicher Temperaturen, im Freien statt.

 

Gleich auf Sendung: Maskenpflicht im Studio, „Galileo“-Moderator Aiman Abdallah wird abgetupft. © Seven.One Production

Welche Corona-bedingten Änderungen gibt es noch?

Wolfgang Lanzenberger: Bei unseren täglichen Live-Formaten sehe ich keine großen Unterschiede zu früher. Außer bei ‘Galileo‘, das von einem hohen Inszenierungsanteil lebt. Dort gleichen wir das Defizit durch den Einsatz von virtuellen Studiotechniken aus. ‘On air“ ist deshalb von den Corona-Auflagen nicht viel zu spüren. Auf den Wow-Effekt einer ‘Galileo‘-Moderation wollen wir einfach nicht verzichten.

 Wie hat Corona den Produktionsalltag verändert?

Wolfgang Lanzenberger: Die Abstandsregeln vor der Kamera sind oberstes Gebot. In der Moderation arbeiten wir mit sichtbaren Plexiglas-Trennscheiben, beispielsweise bei Sportsendungen. Bei Doppel-Moderationen, wie bei ‘taff‘, stehen die Hosts deutlich weiter auseinander. Mit der Folge, dass manche Bild-Kadragen (Anm. der Redaktion: Bild-Einstellungen) nicht mehr funktionieren. Unser Repertoire an möglichen Set-Positionen ist limitierter. Die Kamerafahrten sind zum Teil kürzer, da Abstände zwischen Kamera und Moderatoren sich durch totalere Einstellungen ändern. Der Moderationsanteil, wie auch der Sendungsbau, ist aber gleichgeblieben.

 

Ist die Machart der Beitragsfilme von Magazinen wie ‘taff‘ und ‘Galileo‘ seit Corona anders?

Wolfgang Lanzenberger: Pandemiebedingt hat sich In den Beiträgen ein anderer Umgang mit O-Tönen etabliert. Damit ist nicht gemeint, dass Reporter mit Maske unterwegs sind, sondern der generelle Umgang mit O-Tönen. Die mitgeschnittene Skype-Schalte war früher ein No-Go, heute ist sie Standard. Ob Politiker, Klinikchef oder Haftentlassener – die Bilder gleichen sich und machen ein Stück weit gleich, was nicht unbedingt schlecht ist. Die leichte Untersicht, der direkte Blick in die Kamera samt Einblick in die Privatsphäre. Daran stößt sich heute niemand mehr, auch nicht an der eingeschränkten Tonqualität. Der Videokonferenz-Look wirkt erfrischend ehrlich und authentisch.

Aus der Krise lernen: direkter und fokussierter kommunizieren

Gibt es weitere positive Effekte für den Livebetrieb?

Wolfgang Lanzenberger: In der Tat können wir uns gerade über viel Rückenwind in der Studioproduktion freuen. Pressekonferenzen, Programmpräsentationen, Branchen-Events und selbst Mitarbeiterveranstaltungen werden heute aus den Studios übertragen. Die vorhandene technische Infrastruktur lässt sich für virtuell abgehaltene Veranstaltungen sehr gut nutzen. Hinzu kommt, dass wir für die verschiedensten Ausspielwege produzieren. Es wird also eher mehr als weniger live im Studio produziert. Das kommt allen Gewerken zugute.

Auch dem Zusammenspiel zwischen Redaktion und Produktion?

Wolfgang Lanzenberger: Ja, unsere Kommunikation ist direkter und fokussierter geworden. Langatmige Studio- und Regiebesprechungen im großen Kreis wurden von Teams-Konferenzen und neu geschaffenen Briefing-Routinen abgelöst. Unser Vorteil ist, dass viele Formate bereits seit Jahren existieren. Die Zusammenarbeit zwischen Redaktion, Produktion und Technik war immer eine gute. Durch die Corona-Krise sind wir noch einmal alle näher zusammengerückt. Wir tauschen uns über die unterschiedlichsten Kanäle respektvoll miteinander aus. Summa summarum: der Produktionsprozess hat an Tempo zugelegt.

Was können wir von der Corona-Krise lernen?

Wolfgang Lanzenberger: Die Corona-Pandemie hat viel verändert, auch im Positiven. In diesen Tagen spüre ich eine gewisse Demut und Dankbarkeit im Team. Jeder weiß, wie diffizil die Situation in anderen Berufsfeldern sein kann. Dass wir bis jetzt so glimpflich durch die Krise gekommen sind, ist vielen bewusst. Wir werden von abteilungsfernen Kollegen im Unternehmen schon mal darum beneidet, dass wir unserer beruflichen Tätigkeit vor Ort nachgehen können. Trotzdem freue ich mich auf die Zeiten, in denen es etwas weniger virtuell zugeht, auf die sozialen Kontakte und den Small-Talk.

 

 

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