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31.05

Man muss den Leuten eine Vision verkaufen – ein Gespräch mit Recruiting-Experte Jean-Paul Schmetz

von Lisa Priller Gebhardt unter Netzwelt

Die größte Herausforderung, vor der alle Medienunternehmen stehen, ist das Recruiting von geeignetem Personal, das fit für den digitalen Wandel ist. IT- und Spezialisten und Softwareentwickler sind im Moment hoch begehrt und werden stark umworben. Doch wie genau findet man solche Mitarbeiter? Ein Gespräch mit Jean-Paul Schmetz, Gründer und CEO der Burda-Tochter Cliqz, über das Suchen und Finden von Fachkräften in einem heiß umkämpften Arbeitsmarkt. Das Münchner Unternehmen, das den Webbrowser Cliquz entwickelt hat, beschäftigt inzwischen 130 Mitarbeiter aus 33 Ländern.

Gute Entwickler sind schwer zu finden. Jean-Paul Schmetz erklärt, wie’s geht.

Blmplus: Herr Schmetz, bei Cliqz arbeiten Experten aus Vietnam, Albanien und Ägypten. Solche Fachkräfte findet man vermutlich nicht über die klassische Stellenanzeige. Wie gehen Sie bei der Suche vor?

Zum einen arbeiten wir mit drei Unternehmen zusammen, die international für uns suchen. Zum anderen knüpfe ich selbst Kontakte. Bei Vortragsreisen und Messebesuchen kommt man mit vielen Leuten ins Gespräch. Außerdem arbeiten wir beispielsweise mit den Top-Unis zusammen, darunter Carnegie Mellon, Princeton und MIT.

Jean-Paul Schmetz sucht international nach Entwicklern und knüpft selbst Kontakte
Quelle: Cliqz

Ich selbst habe an der Stanford-University studiert und in der Zeit viele Kontakte geknüpft. Außerdem sitze ich an der LMU in München im Beirat des Data Science Programms. So haben wir auch hier Zugang zu fähigen Leuten.

Wie weit kommt Ihnen da der Einstieg von Mozilla oder der Zukauf des Anti-Tracking-Dienstes Ghostery zu Hilfe?

Die Übernahme von Ghostery hat uns international sichtbarer gemacht. Als wir mit Cliqz vor neun Jahren an den Start gingen, hat sich kein einziger Bewerber bei uns gemeldet. Inzwischen kommen Kandidaten auch von sich aus auf uns zu. Wir sind ein relevanter Player auf dem internationalen Jobmarkt geworden. Außerdem, und das soll bitte nicht zynisch klingen, macht es uns die politische Weltlage leichter, gute Entwickler aus Ländern wie Russland, Ägypten, ja, auch aus den USA, für einen Wechsel nach München zu begeistern.

„Bayern ist unglaublich offen geworden“

Das lässt in der Praxis auf endlose Ämtergänge und viel Behördenwirrwarr schließen.

Bayern ist unglaublich offen geworden. Als ich vor über 20 Jahren nach München kam, habe ich als Belgier mit Mühe eine Arbeitserlaubnis für drei Jahre erhalten. Jetzt ist das anders. Wir haben nie Probleme mit Visa oder anderen behördlichen Anliegen. Das läuft wirklich entspannt. Und früher war es wirklich mühsam, die richtige Krankenversicherung zu finden. Heute hat jede Versicherung eine Website auch in Englisch.

Wie wichtig ist die Standortfrage?

„In München ist es leichter, eine Arbeit als eine Wohnung zu finden“

Dass München attraktiv ist, das weiß man überall auf der Welt, das muss man niemandem erklären. Schließlich rangiert die Isarmetropole – ganz egal bei welcher Umfrage – immer unter den Top-5-Städten mit der höchsten Lebensqualität.

In München ist es leichter, eine Arbeit zu finden als eine Wohnung. Ihre Kollegen von Burda Forward haben eine WG gegründet, bis die Mitarbeiter selbst etwas gefunden haben. Auch eine Idee für Sie?

Das läuft bei uns anders. Wir zahlen jedem Mitarbeiter für die ersten zwei Monate eine möblierte Unterkunft, damit er sich in Ruhe nach einer Bleibe umsehen kann. Natürlich helfen wir auch bei den Gesprächen mit dem Vermieter. Außerdem haben wir ein Abkommen mit der Deutschen Bank. Unsere Mitarbeiter erhalten sofort eine Kreditkarte. Auch das hilft enorm.

„Jeder Mitarbeiter nimmt aus unserer Cliqz-University viel an fachlicher und persönlicher Weiterbildung mit“

Kulturelle Unterschiede werden bereits im Recruitingprozess geklärt, so Schmetz           Quelle: Fotolia

Es ist nicht immer leicht, so viele unterschiedliche Nationalitäten unter einen Hut zu bringen.

Wir klären und erklären kulturelle Unterschiede bereits im Recruitingprozess. Unsere Unternehmens-Leitsätze wie „We take Initiative“, „We learn and teach every day“ oder „We speak openly“ gehören dazu und werden von den Mitarbeitern gelebt. Außerdem nimmt jeder Mitarbeiter aus unserer Cliqz-University viel an fachlicher und persönlicher Weiterbildung mit.

Das klingt, als müssten Sie weit mehr Zeit und Energie aufwenden, um geeignetes Personal zu finden als andere Unternehmen.

Das ist richtig, aber wir haben im Bereich Daten- und Softwarespezialisten längst einen Arbeitnehmer- und keinen Arbeitgebermarkt mehr. Das heißt, gute Entwickler können sich aussuchen, in welches Land sie gehen und welchen Arbeitgeber sie wählen. Unsere Konkurrenz ist groß. Amazon und Google sitzen schließlich auch in München.

„Man muss den Leuten eine Vision verkaufen“

Wie schaffen Sie es, dass sich diese begehrten Fachkräfte für Ihr Unternehmen entscheiden?

Man muss den Leuten eine Vision verkaufen. Wer bei uns arbeitet, lernt hier ständig weiter. Dann erkennen sie schnell, dass sie hier ihre Kreativität entwickeln können. Außerdem machen wir das Recruiting so angenehm wie möglich. Das heißt, dass wir nicht unnötig Zeit verschwenden und die Mitarbeiter ewig hinhalten. Bei den großen Playern dauert es oft Monate.

Und trotzdem haben viele Unternehmen Probleme, das geeignete Personal zu finden.

Das hängt immer auch davon ab, wie viel Zeit ich für die Suche investiere. Viele Unternehmen verkaufen sich einfach schlecht; sie malen das Bild nicht attraktiv genug. Außerdem ist es für ein Unternehmen wie Cliqz leichter, solche Spezialisten zu finden, denn es sind schon etliche andere da. Das Verständnis für den Beruf und die Menschen ist also vorhanden. Unternehmen, die nur ein oder zwei Datenspezialisten haben, tun sich da schwerer, denn sie fühlen sich dort oft wie Außenseiter und werden meist nicht gut integriert.

„Home Office funktioniert bei einem Mammut-Projekt wie Cliqz nicht“

Wie viel Zeit investieren Sie, um Mitarbeiter zu finden?

Der Dienstag ist geblockt für Interviews mit neuen Bewerbern. Wir nehmen im Monat Kontakt zu etwa 100 möglichen Bewerbern auf, mit 50 von ihnen führen wir Interviews, meist über Skype. Davon kommen 15 bis 20 im Monat vorbei, damit sich beide Seiten persönlich einen Eindruck verschaffen können. Jeden Monat fangen zwischen zwei und zehn neue Mitarbeiter bei uns an. Und ganz wichtig: Alle arbeiten hier im Arabellapark. Home Office funktioniert bei so einem Mammut-Projekt nicht.

Und sind die Mitarbeiter dann an Bord, können sie sich vor Angeboten von Headhuntern vermutlich nicht mehr retten …

Das stimmt. 90 Prozent der Anrufe sind von Headhuntern, die Leute abwerben wollen. Und man glaubt kaum, mit welch infamen Tricks die arbeiten. Da die Mitarbeiter kein Bürotelefon haben und daher keine Nebenstellen gegoogelt werden können, müssen Headhunter, um Kontakt zu den Mitarbeitern zu bekommen, unter der zentralen Nummer anrufen. Da meldet sich dann jemand mit Flughafengeräuschen vom Band und sagt, er müsse ganz dringend Herrn Sowieso sprechen. Nachdem das in letzter Zeit dreimal passiert ist, glaube ich da an keinen Zufall mehr.

Zur Person
Jean-Paul Schmetz, Chefscientist bei Burda Media, arbeitet seit mehr als 20 Jahren bei dem Münchner Medienunternehmen. Er hat gute internationale Kontakte und ist in die Digitalaktivitäten des Hauses, darunter Focus Online, Chip und Huffington Post, eingebunden. Schmetz ist außerdem Gründer und CEO der Burda-Tochter Cliqz und weiß, wie schwer die Suche nach IT-Spezialisten und Softwareentwicklern ist.

Was ist Cliqz?
Der Browser Cliqz von Hubert Burda Media bietet eine Alternative zu digitalen Datensammlern wie Google, denn der Web-Browser setzt auf Anonymität. Das heißt, Cliqz verfügt über ein Anti-Tracking-System, bei dem US-Unternehmen wie Google oder Facebook nicht das Surfverhalten der Nutzer nachvollziehen können. Außerdem geht die Suche auf Cliqz rascher, denn es hat eine in der Adresszeile untergebrachte Schnellsuchfunktion. Wer den Begriff “ Wetter München“ eingibt, bekommt die Wetterdaten angezeigt, ohne die aktuell aufgerufene Website verlassen zu müssen. Den Browser kann jeder selbst und kostenlos an seinem Rechner installieren.

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