01.03
Harte Themen und gefährliche Inhalte: ein Blick in den Jugendschutz-Alltag
Den ganzen Tag fernsehen und im Netz surfen? Weit gefehlt. Die Arbeit unserer Kollegen vom Jugendschutz setzt sich mit den härtesten aller Medieninhalte auseinander und setzt ein extrem hohes Maß an psychischer Belastbarkeit voraus. Wie sie mit den Themen umgehen, die sie regelmäßig an ihre persönliche Grenze bringen, und warum sie den Job trotzdem machen, haben sie uns erzählt.
Wir wollen nicht, dass Kinder und Jugendliche mit drastischen Bildern konfrontiert werden
„Toll, du kannst in der Arbeit den ganzen Tag fernsehen und im Internet surfen.“ Jeder von uns kennt solche Aussagen von Kollegen, Freunden oder Bekannten. Eine Meinung, die in vielen Köpfen vorzuherrschen scheint. Was wirklich hinter der Arbeit der Jugendschutz-Programmbeobachtung der BLM steckt, wissen nur wenige. Wir haben im Rahmen unserer Aufsichtstätigkeit die Aufgabe, die Angebote aus Rundfunk und Internet zu sichten und gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu bewerten.
Welche Inhalte fallen in der Programmbeobachtung besonders auf?
Im Rundfunk liegt der Schwerpunkt bei der Programmbeobachtung auf gewalthaltigen Spielfilmen, Erotik-Themen, Extrem-Formaten, Doku-Soaps oder Casting-Shows. Dabei geht es um die Frage, ob möglicherweise eine entwicklungsbeeinträchtigende Wirkung auf Kinder und Jugendliche vorliegt. Unzulässige Inhalte gibt es im Fernsehen selten, da die Sender erfahrene Jugendschutzbeauftragte haben, mit denen die BLM in regelmäßigem Austausch steht und sie bei jugendschutzrelevanten Fragestellungen unterstützt. Inhalte aus dem Internet gehen weit über das hinaus, was im Fernsehen gezeigt wird. Es gibt eine Fülle von unzulässigen und strafrechtlich relevanten Angeboten, auf die Kinder und Jugendliche bewusst oder unbewusst beim Surfen stoßen können.
Sexualisierte und pornografische Inhalte, häufig kombiniert mit bizarren Sexualpraktiken wie Fäkalsex oder Sadomasochismus; Darstellungen von Kindern und Jugendlichen in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung, so genannte „Posendarstellungen“ ; rechtsextremistische Inhalte mit ausländerfeindlichen und antisemitischen Texten oder Holocaustleugnung sowie diverse Gewaltdarstellungen; fiktive Gewaltdarstellungen in Videos oder Computerspielen und reale Darstellungen wie Tötungen und Hinrichtungen; Handyvideos zu aktuellen Geschehnissen wie Umweltkatastrophen, Amokläufen oder Terroranschlägen: Die inhaltliche Bandbreite ist groß.
Beim Vorstellungsgespräch wurden wir mit der so genannten „Giftmappe“, die zahlreiche drastische Bilder enthält, konfrontiert. Daher wussten wir, dass unsere Arbeit auch belastende Inhalte mit sich bringt.
Man muss hinschauen, obwohl man am liebsten wegsehen will
Auch wenn wir bei bestimmten Inhalten intuitiv wegsehen möchten, müssen wir genau hinschauen und die Angebote mit einem geschulten sachlichen und analytischen Blick gemäß den gesetzlichen Bestimmungen bewerten. Diese Herangehensweise ist notwendig, damit wir uns selbst vor den drastischen Bildern schützen.
Wir alle verfügen über langjährige Erfahrung in der Jugendschutz-Bewertung von Angeboten. Die Grundlage für unsere Bewertung bilden die „Kriterien für die Aufsicht im Rundfunk und in Telemedien“, die immer wieder mit Blick auf spezielle Themenfelder oder neue Medientrends weiterentwickelt werden. Internetangebote sind meist dynamisch und werden regelmäßig verändert oder aktualisiert. Das bedeutet, dass wir Angebote mehrmals sichten und Veränderungen bewerten und dokumentieren müssen.
Bei der Bewertung spielen oft verschiedene Details wie Zoom-Möglichkeiten, Inszenierung, Nahaufnahme, Fotos, animierte Darstellungen oder Videos sowie der Gesamtzusammenhang eines Angebots eine Rolle. Emotionen oder geschmackliche Erwägungen dürfen keine Rolle spielen. Die Bewertung muss, auch bei extremen Inhalten wie realen Hinrichtungsvideos oder harter Pornografie, sachlich und anhand der Bewertungskriterien erfolgen.
Seine persönliche Grenze zu kennen, schützt vor Abstumpfung
Um nicht automatisch abzustumpfen und die Bilder nicht durch den so genannten „Tunnelblick“ zu betrachten, ist es wichtig zu merken, wann die persönliche Grenze überschritten ist. Dann hilft es, aus der Situation rauszugehen, mit der man alleine konfrontiert ist.
Hier ist der Austausch unter den Kollegen wichtig, um noch mal differenziert die Bilder zu betrachten und die Inhalte zu reflektieren. Die Inhalte und deren mögliche Wirkung auf Kinder und Jugendliche werden gemeinsam besprochen und bewertet. Aber nicht nur bei besonders belastenden Inhalten, sondern auch bei strittigen Fällen werden diese meist nach spontanem Zuruf gemeinsam gesichtet und diskutiert.
Regelmäßige Supervision wirkt der Belastung entgegen
Zur Bewältigung dieser Inhalte erhalten wir seit Jahren Supervision. Sie findet alle sechs Wochen in zwei getrennten Kleingruppen mit einem ausgebildeten Supervisor statt. In der Supervision werden zum Beispiel folgende Punkte angesprochen: Mit welchen Inhalten ist man konfrontiert? Welche empfindet man gerade als sehr belastend? Wie kann man mit der andauernden Belastung und den extremen Eindrücken adäquat umgehen und diese verarbeiten?
Ziel der Supervision ist es, der hohen Belastung entgegenzuwirken und präventiv Unterstützung zu leisten. Gerade in Extremsituationen reagiert jeder unterschiedlich. So ist es auch beim Umgang mit drastischem Bild- und Textmaterial. Der eine kommt bei Gewaltdarstellungen an seine persönlichen Grenzen , der andere bei Tierpornografie oder Darstellungen von Sexualpraktiken wie Fäkalsex.
Was aber alle von uns als sehr belastend empfinden, sind reale Bilder oder Videos von Hinrichtungen, Erschießungen oder Todesopfern sowie voyeuristische Handyvideos zu Unfällen oder Anschlägen, die in einer großen Anzahl im Internet zu finden sind.
Auch die so genannten „Posenfotos“ von Kindern und Jugendlichen, die in knapper Bekleidung oder Unterwäsche in sexualisierter Körperhaltung vor der Kamera posieren, können sehr belastend sein, wenn man an die Hintergründe und das Schicksal der abgebildeten Kinder und Jugendlichen denkt. Es kommt daher schon vor, dass wir Bilder, mit denen wir in der Arbeit konfrontiert werden, im Kopf mit nach Hause nehmen.
Ein unverzichtbarer Job, damit Kinder nicht in ihrer Entwicklung beeinträchtigt werden
Aber trotzdem: Uns ist bewusst, dass wir eine sinnvolle und wichtige Arbeit leisten, da Kinder und Jugendliche solche Bilder oder Inhalte möglichst nicht sehen sollen. Gerade Heranwachsende suchen in den Medien nach Orientierung und Vorbildern, können bestimmte Inhalte gemäß ihrem körperlichen, geistigen und sozialen Entwicklungsstand aber noch nicht verarbeiten und ausreichend reflektieren.
Für uns ist es wichtig, unseren Teil dazu beizutragen, dass Kinder und Jugendliche nicht durch solche Inhalte, auf die sie völlig unvorbereitet beim Surfen stoßen können, nachhaltig verängstigt oder in ihrer Entwicklung zu einer gemeinschaftsfähigen und verantwortungsbewussten Persönlichkeit beeinträchtigt werden. Auch wenn unsere Arbeit in der Jugendschutz-Programmbeobachtung oft nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ zu sein scheint, ist sie unverzichtbar.
Eine wichtige Aufgabe des gesetzlichen Jugendschutzes ist, die Anbieter von Rundfunk- und Internetangeboten im Hinblick auf entwicklungsbeeinträchtigende und -gefährdende Inhalte zu sensibilisieren. Hier haben wir immer wieder Erfolge zu verzeichnen: Im Rundfunk, wenn Verstöße geahndet und problematische Sendungen künftig nur noch zu später Stunde ausgestrahlt werden. Auch im Internet erzielen wir beständig Erfolge in kleinen Schritten, wenn Anbieter reagieren und Jugendschutzmaßnahmen umsetzen.
Dies ist für uns ein Ansporn, auch weiter dafür zu sorgen, das Problembewusstsein der Öffentlichkeit hinsichtlich der Gefahren, die gerade das Internet birgt, zu schärfen und Kinder und Jugendliche vor diesen zu schützen.
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