03.05
Wie steht es um die deutsche Serie? Fragen an Gerhard Maier
Die Serien haben dem Fernsehen eine neue Blütezeit verschafft und sein Image verbessert, jedoch nicht immer die Quoten. Über Status Quo und Zukunft der deutschen Serie diskutieren am 9. Mai auf Einladung von BLM und DOK.forum Fernsehmacher und TV-Produzenten in der HFF München. Die Keynote hält Gerhard Maier, Programmleiter beim Seriencamp, dem ersten deutschen Serienfestival. Wir haben ihn im Vorfeld gefragt, wie es um die deutsche Serie steht.
Die deutsche Serie hat aufgeholt
BLMplus: Neue Wettbewerber wie Netflix oder Amazon Prime geben mit ihren Serienproduktionen offenbar neue Impulse. Wie steht es aktuell um die deutsche Serie im Vergleich zu den letzten Jahren?
Gerhard Maier: Die kurze Antwort: Besser. Es scheint sich in den letzten Jahren – nicht zuletzt dank der Unmutsäußerungen des Publikums – die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass im internationalen Vergleich ein gewisses Defizit herrscht.
Das wird von manchen Branchenvertretern zwar gerne noch lautstark bestritten, ich denke jedoch, dass das stark gestiegene Interesse an verschiedenen Aspekten der Serie – von der Produktion über die Figurenentwicklung bis zum Vertrieb – ein sehr gutes Indiz für die anhaltende positive Entwicklung sind. Wir sprechen hierzulande immer mehr über Serien und versuchen die sowieso vorhandenen Stärken besser zu nutzen.
Wenn Sie die Geschichte der deutschen Serie Revue passieren lassen: Welche Höhe- und Tiefpunkte fallen Ihnen da ein?
Von Tiefpunkten zu sprechen finde ich schwierig. Nur, weil etwas nicht ganz meinem persönlichen Geschmack oder dem Anspruch einer gewissen Zuschauerschaft entspricht, muss das ja nicht heissen, dass die Serie nicht ihren Zweck erfüllt.
Zu den Höhepunkten zählen bei mir – natürlich auch biographisch bedingt – die Münchener Serien wie „Irgendwie & Sowieso“, „Monaco Franze“ und „Münchner G’schichten“. Zuletzt habe ich sehr begrüßt, was „Deutschland 83“ gewagt hat.
Hüter der Hochkultur denken allmählich um
Mit „Club der roten Bänder“ (VOX), „Weissensee“ (ARD), „Weinberg“ (TNT) und „Deutschland 83“ (RTL) sind 2016 gleich vier Serien mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet worden. Ein Zeichen für eine Qualitätsoffensive in der deutschen Serienlandschaft?
Durchaus! Auch wenn ich der Meinung bin, dass ein reges Interesse des Publikums und der Austausch über eine Serie sehr viel stärkere Qualitätsmerkmale sind, als ein per Jury vergebener Preis. Ich denke, dass diese Auszeichnungen eher auf ein allmähliches Umdenken bei den Hütern der Hochkultur schliessen lässt, als tatsächliche Aussagen über den Qualitätsgrad der jeweiligen Serien zulässt.
Der Widerspruch zwischen Qualität und Quote fiel besonders bei „Deutschland 83“ auf: Von den Kritikern hochgelobt, fiel die Serie beim deutschen Publikum – gemessen an der Quote – eher durch. International hingegen gab es ein begeistertes Echo. Wie erklären Sie sich das?
Ich sehe hier eine Vielzahl von lange gärenden, sich teilweise gegenseitig bedingenden Gründen, die meiner Meinung nach sehr spezifisch für die deutsche Serien-, Fernseh- und Kulturlandschaft sind. Ich finde es im Fall von „Deutschland 83“ jedoch höchst bezeichnend, dass im Umfeld der Ausstrahlung weit mehr über die Quoten und den Erfolgsdruck geschrieben wurde als über die eigentlichen Inhalte und Stärken der Serie, die in meinen Augen ein großer Schritt in die richtige Richtung war. Die Art der Diskussion in Deutschland hat auch einige der internationalen Kollegen sehr verwundert, mit denen ich mich darüber unterhalten habe.
Direktere Ansprache des internationalen Publikums suchen
Welche Herausforderungen müssen deutsche Serienproduzenten meistern, um ein internationales Publikum anzusprechen?
Keine einfache Frage. Vor allem, da ich der Meinung bin, dass es „das internationale Publikum“ in Zukunft in dieser Form nicht geben wird, sondern eher kleinere Zuschauerzielgruppen und Nischen, die sich in allen Ländern finden und ansprechen lassen.
Ich denke, man muss als Produzent in Zukunft eine direktere Ansprache des internationalen Publikums suchen: Wer hinter seiner Serie steht und an ihren Erfolg glaubt, sollte diese Begeisterung weitergeben. Was jetzt natürlich weit leichter dahergesagt als getan ist.
Manchmal wünschte ich mir jedoch ein wenig mehr Mut zum Extrem bei Themenwahl und Inszenierung sowie etwas mehr Vertrauen in die Vision der Autoren und Schöpfer.
Das neue Zauberwort lautet „Storytelling“: Inwiefern kann das in einer Web-TV-Serie vielleicht besser umgesetzt werden als im Fernsehen?
Web- und Indie-Serien lassen zum einen meist unmittelbarere Umsetzungen der Vorstellungen ihrer Schöpfer zu. Zum anderen sind sie nicht so stark an bestimmte, oft restriktive Vorgaben wie Laufzeit oder Staffellänge gebunden. Diese Freiheiten erlauben Geschichten, die authentischer, roher und direkter wirken.
„Ich mag Serien, die Wagnisse eingehen“
Haben Sie eine persönliche Lieblingsserie?
Ich habe definitv einen Pool an Favoriten, der aber stark von der persönlichen Film- und Serienbiographie geprägt ist: Zu welchem Zeitpunkt im Leben hat man etwas gesehen, das bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Auch weil es die Möglichkeiten des seriellen Erzählens aufgezeigt hat und radikal neues wagte. Rückblickend sind manche der Lieblingsserien nicht besonders gut gealtert, manche anderen schon.
Zu den Lieblingen zählen bei mir meist jene Serien, die Wagnisse eingegangen sind, die mir persönlich immer wieder auf’s Neue gezeigt haben, was möglich ist: Ob die Abbildung der Komplexität urbaner Probleme in „The Wire“, der oft psychedelische Surrealismus in „Adventure Time“ oder das paranoide Zeitgeistdestillat in „Mr. Robot“. Auf zwei Serien aus Frankreich, von denen ich leider nur einige Folgen gesehen habe, freue ich mich schon, da sie für mich Ausdruck eines neuen europäischen Selbstbewusstseins im Bereich der Serie sind: die Politikserie „Baron Noir“ und die äußerst charmante workplace comedy „Dix Pour Cent“.
Weitere Informationen
Nach der Keynote von Gerhard Maier diskutieren bei der Abendveranstaltung „Serien – Die Antwort auf alle Fragen“ von BLM und DOK.forum am 9. Mai in der HFF: Dr. Bernhard Gleim (NDR), Volker Heise (Zero One Filmproduktion), Hannes Heyelmann (Turner Deutschland) und Frank Jastfelder (Sky Deutschland).
Gerhard Maier ist Programmdirektor bei seriencamp.tv. Der Filmredakteur schreibt und textet seit mehr als 12 Jahren über Film und Serien. Aus Liebe zu Serien gründete er 2015 gemeinsam mit zwei Kollegen das erste deutsche Serienfestival Seriencamp. Für das Seriencamp ist er maßgeblich an Programmauswahl und am Professional Day beteiligt.
Seriencamp ist das erste deutsche Serienfestival. Es hat sich zwei Ziele gesteckt: Einerseits Autoren, Produzenten, Senderverantwortliche und Entscheider der Branche beim Professional Day eine Plattform zu bieten, auf der man sich über Trends, Herausforderungen, Chancen und best practices austauschen kann. Das beinhaltet für uns vor allem auch einen Blick auf die europäische Serie. Zum anderen versuchen wir, bei öffentlichen Screenings das Publikum von den heimischen Bildschirmen in die Kinos zu holen: der Austausch über Serien, das gemeinsame Erleben sind für uns sehr wichtig.
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