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06.09

Ergebnisse und Perspektiven der „Pilotstudie DAB+ Nutzung 2016“

von Johannes Kors unter Radio

Die Reichweitenmessung des Hörfunks basiert in Deutschland im Wesentlichen auf den regelmäßigen quantitativen Reichweitenstudien der Arbeitsgemeinschaft Media Analyse (agma) – ursprünglich vor 20 Jahren von der agma entwickelt für UKW und natürlich nicht für DAB+. Seit der ma 2000 Radio wird die Hörfunknutzung mittels computer-gestützter telefonischer Interviews (CATI = Computer Assisted Telephone Interview) erhoben. Die CATI­-Erhebung stößt im digitalen Zeitalter aber zunehmend an Grenzen.

DAB+-Pilotstudie liefert erste Nutzungszahlen

Digitale Verbreitungswege ermöglichen die Vervielfachung der Programme und hybride Endgeräte für Telefonie, Internet, TV und Radio machen die Rundfunkangebote überall und jederzeit verfügbar. Diese Veränderungen führen dazu, dass die Messung der Nutzung aller Angebote mit herkömmlichen Methoden immer schwieriger wird. Des wegen hat die agma bereits im Jahre 2014 die Einführung einer separaten Abfragemethode und Erhebung für Internetradioprogramme realisiert. Des Weiteren ist es der Gattung Radio mit der Vernetzung der klassischen CATI­-Erhebung der UKW­-Sender und der ma IP Audio in die ma Audio im November 2015 gelungen, als erste Mediengattung eine Konvergenzwährung zu schaffen.

Ein bisher ungelöstes Problem der Reichweiten­forschung innerhalb der agma ist jedoch, dass es für die nicht über UKW verbreiteten terrestrischen Digitalradioprogramme auf Basis der bestehenden Abfrage-Konvention nahezu unmöglich ist, einen Reichweitenausweis in der Media Analyse zu erhalten. Während die UKW-­Programme namentlich abgefragt werden durch Vorlesen der pro Stadt/Landkreis empfangbaren Angebote, werden die übrigen Programme grundsätzlich ungestützt erhoben. Sie müssen innerhalb der beiden Erhebungswellen einer ma mindestens 20 ungewichtete Nennungen im Weitesten Hörerkreis (WHK) erreichen, um in die mit Sendernamen und -­slogan gestützte Abfrage zu gelangen. Damit werden die ausschließlich über DAB+, Kabel und Satellit verbreiteten Programme gegenüber den UKW-­Programmen benachteiligt. Programme im digitalen Hörfunk haben bisher somit kaum eine Chance, den für die Werbevermarktung notwendigen Reichweitenausweis zu erhalten.

Methodik „Pilotstudie DAB+ Nutzung“

Vor diesem Hintergrund haben die Landesmedienanstalten und private DAB­-Anbieter immer wieder angeregt das Problem zu lösen und die eklatanten Wettbewerbsnachteile für DAB­-Radioprogramme zu beseitigen. Die geäußerte Kritik stieß schließlich auf ein offenes Ohr in der agma. Der Arbeitsaus­schuss der agma hat am 17. März 2016 die Auflassung erteilt, für DAB+ eine eigenständige Studie zu entwickeln. Um das Projekt zu realisieren, haben sich die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM), die ARD, Deutschlandradio, Media Broadcast und die privaten Anbieter Regiocast, Energy, Neue Welle und Schlagerparadies zusammengefunden und die agma-­Tochter mmc beauftragt, eine „Pilotstudie DAB+ Nutzung“ durchzuführen.

Als methodisches Konzept der Studie wurde eine Tagebucherhebung entwickelt, die sich aus den drei Säulen Online-Panel, Digitalisierungsbericht und CATI­-Bus zusammensetzt. Dabei bildet die im Digitalisierungsbericht der Landesmedienanstalten erhobene Haushaltsausstattung mit DAB+­Geräten die Basis sowohl für die Rekrutierung einer Nachbefragung von DAB+­-Haushalten mittels Online-­ oder Papiertagebuch, als auch die Außenvorgabe für eine aus einem Online-­Access-­Panel rekrutierte Stichprobe. Darüber hinaus beinhaltet das Konzept eine zusätzliche Rekrutierung von DAB+­-Nutzern im Rahmen einer CATI­-Bus-­Befragung. Ziel dieses Moduls war es, neben der Nachbefragung aus dem Digitalisierungsbericht weitere Offliner (kein Internetzugang) für die Studie zu gewinnen. Für die Tagebucherhebung konnten somit 2.269 Personen gewonnen werden, die im Laufe von 8 Tagen im Zeitraum Juni/Juli 2016 ihr Radionutzungsver­halten im Rahmen einer Tagebuchbefragung dokumentiert haben. Die ermittelte Radionutzung ist repräsentativ für 9,5 Mio. Personen mit einem Zugang zu einem DAB+­-Radiogerät gemäß der Studie von TNS Infratest zum Digitalisierungsbericht.

DAB+Pilotstudie - Nutzungsanteile der Radioempfangswege

DAB+-Nutzung in Digitalradio-Empfangs- haushalten vor Internetradionutzung

Die Ergebnisse der Tagebucherhebung belegen, dass neben der zunehmenden Marktdurchdringung von DAB+ bei den Radioempfangsgeräten auch die tatsächliche Nutzung von Digitalradio in den Empfangshaushalten bereits beachtliche Werte erzielt. Der Nutzungsanteil von DAB+ an den Radioempfangswegen in diesen Haushalten beträgt schon 19 Prozent. Dies sind 46 Minuten der insgesamt erhobenen Hördauer von 248 Minuten. DAB+ liegt damit vor dem Verbreitungsweg Internet, der einen Anteil von 43 Minuten bzw. 17 Prozent an der Hördauer hat. Auf UKW entfällt mit 134 Minuten bzw. 54 Prozent nach wie vor der höchste Anteil. Dies ist aber nicht erstaunlich, weil auch in den DAB+-­Empfangshaushalten noch drei von fünf Empfangsgeräten bzw. 60 Prozent der Geräte über einen UKW-­Empfang verfügen.

DAB+ Pilotstudie - Hördauer in Minuten alle Empfangswege vs. DAB+

Weit abgeschlagen ist in den DAB+­Empfangshaushalten die stationäre Empfangsart Kabel/Satellit, auf die ein Anteil von 14 Minuten bzw. 6 Prozent an der Hördauer entfällt. Bei differenzierter Betrachtung nach Bundesländern zeigt sich, dass der DAB+­Anteil an der Radionutzung in den südlichen Ländern Bayern und Baden­-Württemberg mit je­weils 25 Prozent und in Hessen mit 24 Prozent sowie in Sachsen­-Anhalt mit 30 Prozent deutlich überdurchschnittlich ist.

DAB+ Pilotstudie - Hördauer in Minuten (Mo.–So.) DAB+ in den Bundesländern

Öffentlich-rechtlich vs. privat

Beim Vergleich zwischen öffentlich-rechtlichen Sendern und Privatradios liegen erwartungsgemäß die ARD­-Programme bei der DAB+-­Nutzung vorne. Fast ein Viertel der Nutzung der ARD­-Sender erfolgt bereits über DAB+, während der Anteil bei den Privatradios erst etwa ein Siebtel beträgt. Bei Deutschlandradio liegt der Anteil dagegen sogar bei 40 Prozent. Ein Vergleich auf Länderebene zeigt aber, dass die DAB+­-Nutzung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht durchgängig überwiegt. In den Ländern, wo neben den bundeswei­ten Privatradios auch bereits zahlreiche regionale DAB+-­Programme ausgestrahlt werden, ist der Privatfunk bei der DAB+-­Nutzung auf Augenhöhe mit den öffentlich-rechtlichen Sendern. In Bayern teilen sich die 60 Minuten Hördauer über DAB+ exakt hälftig zwischen dem Bayerischen Rundfunk und den privaten DAB­Programmen auf. Auch in Hessen und Sachsen-­Anhalt teilt sich die Nutzung nahezu gleich zwischen den ARD­-Sendern und den Privatradios auf. Dies ist wiederum ein Beleg dafür, dass die Wettbewerbschancen der privaten Radioanbieter bei entsprechenden Aktivitäten in DAB+ grundsätzlich vorhanden sind.

Handlungsbedarf bei den Privaten

Der Nutzungsanteil von Radiohören über DAB+ beträgt hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ab 14 Jahre, inklusive also der 59,7 Mio. Nicht-Besitzer eines DAB+­Empfangsgeräts, zwar erst 3 Prozent. Die erstmals ermittelten Nutzungsdaten für DAB+ zeigen aber, dass es für den Privatfunk in einigen Bundesländern Handlungsbedarf gibt. Andernfalls besteht hier die Gefahr, dass die Privatradios gegenüber den öffentlich-rechtlichen Wettbewerbern Hörer-­Marktanteile verlieren.

Allerdings sind die Privatsender beim Aufbau der Infrastruktur benachteiligt. Die DAB+­-Kosten sind in Relation zu UKW zwar deutlich geringer. Bei einer Simulcastverbreitung stehen den zusätzlichen Kosten für die DAB+­-Verbreitung aber keine zusätzlichen Einnahmen aus der Werbung gegenüber, während den öffentlich-­rechtlichen Sendern die Si­mulcastphase voll durch Gebührengelder finanziert wird. Bei den originären DAB­-Anbietern ist das Problem, dass wegen der immer noch zu geringen technischen Reichweite die Kosten noch nicht durch Werbeerlöse gedeckt werden können. Vor diesem Hintergrund wäre es für die Fortentwicklung von DAB+ bedeutsam, wenn die DAB+­-Ver­breitungskosten eine Zeitlang durch eine öffentliche Anschubfinanzierung gefördert würden.

Ausweis der privaten DAB+-Programme

Neben der erstmaligen Messung des Anteils der DAB+-­Nutzung am Radiohören über alle Empfangswege ist ein weiteres Ziel der Pilotstudie, für Pri­vatradios eine Messmethodik zu entwickeln, die auch den originär DAB+­-basierten Programmen eine von der Werbewirtschaft anerkannte Reichweitenwährung unter dem Dach der agma liefert. Dieses Ziel konnte erreicht werden durch die Gestaltung der Tagebucherhebung, die für alle Programme eine chancengleiche Erhebung der Nut­zungsreichweite ermöglicht. Notwendig für den Reichweitenausweis sind gemäß ZAW­-Rahmenschema und der Vorgabe der agma mindestens 80 Nennungen im Tagebuch. Die Mehrzahl der bundesweiten DAB+-­Anbieter hat in der Pilotstudie diese Hürde genommen. Damit liegen auch für einige DAB­-Sender erstmals Programmreichweiten vor. Im nächsten Schritt kommt es nun darauf an, diese Daten in die ma Audio zu transferieren, um der Werbewirtschaft allgemein anerkannte Reichweiten mit agma­-Siegel zu liefern.

Wie sollte in Zukunft erhoben werden?

Die Frage nach einer geeigneten Messmethode für originäre DAB+-­Programme wird auch nach der „Pilotstudie DAB+ Nutzung“ auf der Agenda bleiben. Die Erhebung alleinig auf Basis der DAB+-Empfangshaushalte birgt für die DAB+­-Anbieter das Problem, dass die schon vorhandene Reichweite über andere Verbreitungswege wie Internet bei Personen ohne DAB+-­Zugang in der Tagebucherhebung der Pilotstudie nicht erfasst wird. Hier wäre zu prüfen, ob eine Gewinnung dieser Daten beispielsweise aus der ma IP Audio möglich erscheint.

Die Fortentwicklung der Erhebungskonvention für Radio bleibt eine Daueraufgabe. Spätestens wenn das bestehende terrestrische Radioangebot sich mit Digitalradio überall deutlich vergrößert und die Nutzung von Digitalradio bei der Hördauer in der Gesamtbevölkerung die 10-­Prozentmarke überschritten hat, wird sich voraussichtlich auch die Erhebungskonvention der klassischen ma Radio aus der analogen Zeit an die digitale Welt anpassen müssen. Eine valide und glaubwürdige Ermittlung der Gesamtreichweite von Radio erscheint anderenfalls kaum noch möglich zu sein.

Info:
Erschienen als Beilage zum Digitalisierungsbericht 2016, Copyright: die medienanstalten
Die Studie wurde von den Medienanstalten gemeinsam mit ARD, Deutschlandradio, Media Broadcast, Regiocast, Energy, Neue Welle und Schlagerparadies bei mmc beauftragt und von TNS Infratest durchgeführt.

2 Kommentare

2 Kommentare zu: Ergebnisse und Perspektiven der „Pilotstudie DAB+ Nutzung 2016“

  1. Marcus sagt:

    Eindeutiger geht es nicht: Da, wo die privaten Programme gut über Digitalradio DAB+ vertreten sind, wird auch digital gehört. Dieses Signal sollte jeder Veranstalter wahrnehmen, der noch ausschließlich auf UKW sendet!

  2. Jochen sagt:

    Wenn man möchte das mehr Private Radiosender auch DAB´+ anbieten, dann sollte der Staat vielleicht auch die Privatensender beim aufrüsten auf den neuen Standard finanziell unterstützen? Warum sollte ein Privatsender Geld in die Hand nehmen für einen extrem kleinen Kundenkreis, der diesem noch nichteinmal zusätzliche einnahmen gernneriert? Da wird jeder Geschäftsmann mit der Nase rümpfen!

    Nur meine bescheidene Meinung

    Gruß Jochen

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