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09.08

Der BREXIT und die Folgen für die europäische Medienregulierung

von Johanna Fell unter TV

Der BREXIT, für den sich am 23. Juni knapp 52 Prozent der Briten ausgesprochen haben, ist und bleibt eine der spannendsten Entwicklungen der kommenden Monate, ganz egal, wie man dazu stehen mag. Der Vorgang rührt an den Grundfesten dessen, was sich in EU-Europa in den letzten 60 Jahren an grenzübergreifender Zusammenarbeit entwickelt hat, auch in puncto Medienregulierung. Daran lässt sich exemplarisch zeigen, welche Optionen sich dem Vereinigten Königreich bieten, wenn mit dem Austrittsverfahren der erste entscheidende Schritt vollzogen ist.

Folgen des Brexit am Beispiel der AVMD-Richtlinie

Nehmen wir als Beispiel die Audiovisuelle Mediendienste-Richtlinie: Die AVMD-RL bildet den europaweit geltenden Handlungsrahmen für die Regulierung audiovisueller Inhalte. Sie wird durch die EU-Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt, in Deutschland unter anderem im Rundfunkstaatsvertrag bzw. im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Durch einen Mitgliedstaat genehmigte Anbieter haben nach der Richtlinie mit der Lizenz eine „carte blanche“ für alle 28 Mitgliedstaaten; eine Weiterverbreitung kann nur unter ganz bestimmten Umständen untersagt werden.

BREXIT

Foto: Bluedesign/Fotolia

Erfolgt ist dies in der Praxis nur in wenigen Fällen, so unter anderem bei einem iranischen Sender, dessen Weiterverbreitung die Bayerische Landeszentrale für neue Medien über ASTRA stoppte, nachdem die britische Regulierungsbehörde Ofcom dem Sender die Lizenz und damit die Rechtsgrundlage für die Weiterverbreitung entzogen hatte.

Die Richtlinie ist für die Anbieter audiovisueller Mediendienste also die Tür zum gesamten EU-Binnenmarkt mit seinen 350 Millionen Zuschauern. Scheidet das Vereinigte Königreich aus der EU aus, fällt dieser „Türöffner“ für Angebote, die von der  Ofcom genehmigt wurden, künftig weg. Wie es mit bisher erteilten Genehmigungen aussieht, ist ebenso Verhandlungssache wie die Handhabung von Medienangeboten aus dem Vereinigten Königreich generell.

Modell Norwegen und Modell Schweiz

In der Fachwelt werden derzeit zwei Szenarien für die Medienregulierung der Briten in Richtung Europa erörtert: das „Modell Norwegen“ und das „Modell Schweiz“. Norwegen als Mitglied der Europäischen Freihandelszone EFTA hat auf Basis der zwischen EFTA und EU getroffenen Vereinbarung Zugang zum EU-Binnenmarkt: Der „Preis“ dafür ist die Anwendung bzw. Umsetzung zahlreicher europäischer Regelungen in nationales Recht, so auch der AVMD-Richtlinie. Norwegen zahlt wie die restlichen EFTA-Mitglieder einen im Vergleich zu EU-Mitgliedern reduzierten Beitrag an die EU. Der Unterschied zur EU-Mitgliedschaft besteht darin, dass Norwegen die EU-Bestimmungen anwendet, aber nicht mitbestimmen kann – das können nur die EU-Mitglieder. Insoweit wäre das „Modell Norwegen“ für das Vereinigte Königreich ein schlechter Deal; die Kostenersparnis (ca. 17 Prozent gegenüber derzeit) ginge zu Lasten des Mitspracherechts.

Das „Modell Schweiz“ unterscheidet sich für den Mediensektor vom „Modell Norwegen“ insoweit, als die EU nach der Volksabstimmung zur Ausländerquote 2014 die Verhandlungen mit der Schweiz über die Verlängerung verschiedener Verträge zu Kooperationen zunächst auf Eis legte. Betroffen davon war auch der Mediensektor, da die Schweiz Interesse an dem MEDIA-Programm (nun „Creative Europe“) hatte und entsprechende Mittel beisteuerte.

Eine Bedingung für die Beteiligung am MEDIA-Programm war die Anwendung der AVMD-Richtlinie durch die Schweiz. Für die Dauer des Verhandlungsstopps sind die Eidgenossen für die europäische Medienregulierung nun auf das Europäische Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen („Europaratskonvention“) zurückgeworfen. Es deckt im Prinzip die gleichen Bereiche ab wie die AVMD-RL und ist mittlerweile in 34 Ländern in Kraft, darunter auch in Deutschland oder dem Vereinigten Königreich.

Allerdings stammt die geltende Fassung der Konvention noch aus dem Jahr 1998. Denn ihre Revision parallel zur Richtlinie war seinerzeit durch die für Medien zuständige EU-Kommisarin mit der Begründung gestoppt worden, es könne ja wohl nicht angehen, dass es für EU-Mitgliedstaaten zwei parallele Rechtsinstrumente zum gleichen Bereich gebe. Dabei war immer klar, dass für die EU-Mitgliedstaaten die Richtlinie Vorrang vor der Konvention hat.

Mit der Perspektive des BREXIT sind nun die Aussichten für eine Revision der Europaratskonvention plötzlich wieder stark gestiegen. Würde sie novelliert, stünde den Kollegen in London für den Fall des Falles ein ähnliches Regelwerk in Richtung Europa zur Verfügung, wie es die Richtlinie darstellt, und die freie Weiterverbreitung von Angeboten, die durch die Ofcom genehmigt sind, wäre nach dem derzeitigen Artikel 4 des Übereinkommens gewährleistet.

Vordenkerrolle der Ofcom

Bis es allerdings so weit ist, dass vielleicht die eine oder die andere Rechtsgrundlage für die Kooperation der Medienregulierer auf europäischer Ebene greift, wird noch einige Zeit ins Land ziehen. Auf der europäischen Ebene spielt die britische Ofcom jedenfalls schon seit vielen Jahren eine Vorreiter- und Vordenkerrolle, auf die wir höchst ungern verzichten würden. Je genauer man sich mit der Sachlage befasst, desto deutlicher wird, welche Mammutaufgabe auf die Verhandler zukommt.

Insoweit ist nachvollziehbar, dass man sich nun die Zeit nimmt, sie richtig vorzubereiten – zumindest die BREXIT-Befürworter hatten offensichtlich weder einen Plan B noch einen Plan A für den Fall ihres Sieges, der auch die Administration in Brüssel zumindest kühl erwischt haben dürfte. Spannend ist auch die Frage, in welchem Umfang das Vereinigte Königreich während der auf zwei Jahre angelegten Austrittsverhandlungen noch aktiv in Gremien, Gesetzgebungsverfahren und auch der großen Politik in Europa mitwirkt bzw. mitwirken kann.

Auf die für das zwei Halbjahr 2017 geplante Ratspräsidentschaft hat die Premierministerin vor kurzem verzichtet; hier ist Estland eingesprungen. Was die nicht ganz so große Bühne betrifft, gilt die Regel „business as usual“ bis zum Austritt. Großbritannien dürfte aber bei der Revision der AVMD-Richtlinie in den einschlägigen Zirkeln (z.B. dem Kontaktausschuss, der BEREC oder der ERGA) kaum noch aktiv dabei sein. Wetten darauf, ob der BREXIT schneller vollzogen ist als die Revision der AVMD-Richtlinie, möchte im ansonsten so wettwütigen Britannien derzeit niemand abgeben.

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