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25.08

Big Data und die Folgen

von Bettina Pregel unter Medienkompetenz Netzwelt

Die Augsburger Mediengespräche am 1. Oktober beschäftigen sich mit der Frage, wie Big Data unser Leben verändert. Die Analyse der persönlichen Informationen, die Unternehmen aus der Datenflut „gewinnen“ können, bietet wirtschaftliche Chancen. Sie bedeutet aber auch die Beschneidung individueller Freiräume, meint Datenschützer Dr. Thomas Petri.

BLMplus hat bei Petri, der zusammen mit Wirtschaftsvertretern und Wissenschaftlern in Augsburg auf dem Podium sitzen wird, nachgefragt, wie der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz die Folgen von Big Data einschätzt.

BLMplus: „Big Data“ steht für die Möglichkeit, die Datenflut nahezu in Echtzeit zu analysieren. Für Google-Chairman Eric Schmidt bedeutet das, dass es für einen Menschen sehr schwer werden wird, „etwas zu konsumieren, das nicht in einem gewissen Sinne auf ihn zugeschnitten ist.“ Was bedeutet Big Data für Sie als Datenschutzbeauftragter?

Portraitfoto von Datenschützer Dr. Thomas Petri

Dr. Thomas Petri, Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz

Thomas Petri: Big Data wird gegenwärtig zwar zumeist mit Vorteilen verbunden, ist aber nach meiner Einschätzung sehr ambivalent. Natürlich ist Big Data – vor allem mit wirtschaftlichen – Chancen verbunden. Als Landesbeauftragter für den Datenschutz sehe ich im Zusammenhang mit Big Data aber mindestens zwei äußerst problematische Entwicklungslinien – eine individuelle und eine gesellschaftliche.

Zur individuellen Seite: Menschen  sind von Natur aus nicht nur „öffentliche Wesen“. Für eine gesunde Identitätsentwicklung benötigen sie gleichzeitig Formen der Selbstoffenbarung und der Privatsphäre. Jeder Mensch muss versuchen, für sich eine ausgewogene Balance zwischen Zurückgezogenheit und Selbstöffnung zu finden. Dieses Verhältnis verändert sich permanent und ist insbesondere von den jeweiligen Lebensumständen des Betroffenen abhängig. Das war früher schon so und gilt auch heute noch. Big Data droht nun, diese Balance zulasten der Privatsphäre dauerhaft zu verschieben. Steuert man dem nicht entgegen, wird es den Menschen immer schwerer fallen, ihre individuellen Freiräume diskriminierungsfrei zu bewahren. Diese Auswirkungen von Big Data könnte man als heimlich beschreiben. Jedenfalls wird der durchschnittliche Bürger die Auswirkungen oft nicht dem Phänomen Big Data zuordnen können.

Konformität statt Individualität in den Entscheidungen

Beispielsweise dient Big Data heute bereits dazu, ständig Kundengruppen ausfindig zu machen, die aufgrund bestimmter Eigenschaften als attraktive Zielgruppe für ein Produkt gelten können. Eric Schmidt mag sinngemäß von persönlich auf Menschen zugeschnittenen Angeboten sprechen. Ich würde das eher so formulieren: Es besteht die Gefahr, dass Menschen künftig keine eigenen Konsumentscheidungen treffen, sondern bestenfalls zwischen mehreren vorgefertigten „Entscheidungen“ auswählen können. Der Soziologe David Lyon hat in diesem Zusammenhang sinngemäß festgestellt, dass den Betroffenen eine Individualität vorgegaukelt werde, sie in Wahrheit aber zu einer „verblüffenden Konformität“ verleitet würden. Diese Einschätzung halte ich für plausibel. Bedenklich an diesem Phänomen ist, dass die Verleitung zur Konformität nicht nur auf den Konsumbereich beschränkt bleiben wird.

Noch erheblicher könnten nämlich die möglichen gesellschaftlich-politischen Auswirkungen von Big Data sein. Insoweit vermisse ich bei uns schmerzlich eine vertiefte Auseinandersetzung.  Ich finde, dass das Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1983 insoweit noch einmal eine überraschende Aktualität gewinnt.

Deshalb zitiere ich nachfolgend eine der zentralen Aussagen dieser Entscheidung: „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wären eine Gesellschaftsordnung und eine diese ermöglichende Rechtsordnung nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß. Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen.“

Big Data läuft Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung zuwider

Vielen Menschen wird heute gar nicht mehr bewusst, wie die digitale Informationsverarbeitung auf sie verhaltenssteuernd wirkt. Die Grundproblematik jedoch ist in dem Zitat nach wie vor sehr treffend beschrieben. Vor allem mache ich darauf aufmerksam, dass das Bundesverfassungsgericht nicht allein das Verhältnis zwischen Staat und Bürger beschrieben hat, sondern Feststellungen zur „sozialen Umwelt“, zu „möglichen Kommunikationspartnern“ und zur „Gesellschaftsordnung“ getroffen hat.

Und wie sollten wir auf die beschriebenen Risiken reagieren? In verfassungsrechtlicher Hinsicht hat das Bundesverfassungsgericht damals aus dem Grundgesetz ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung abgeleitet. Eine zentrales Prinzip dieses Grundrechts ist es, dass personenbezogene Daten nur auf einen bestimmten Zweck hin beschafft und verarbeitet werden dürfen. Für diese zweckbezogene Datenverarbeitung muss es eine Rechtfertigung geben, sonst wird die Selbstbestimmung der betroffenen Person gefährdet. Big Data läuft diesem grundrechtlich begründeten Prinzip der Zweckbindung diametral zuwider.

BLMplus: Das Sammeln privater Informationen aus sozialen Netzwerken verschafft Unternehmen und Finanzinstituten ein Wissen über ihre Mitarbeiter und Kunden, das zur Unternehmensführung und für maßgeschneiderte Produktangebote eingesetzt werden kann. Wer sollte solche Daten besser nicht in die Hand bekommen?

Nach meiner Einschätzung geht es weniger um bestimmte Personen oder Unternehmen, als vielmehr um bestimmte Verarbeitungsverfahren und um den jeweiligen Verwendungszweck. Insofern verweise ich beispielhaft auf das Risiko, das mit dem Einsatz von softwaregestützten statistischen Bewertungsverfahren (z.B. Scoringverfahren) verbunden ist. Wer da durch ein Raster fällt, dem drohen oft unverschuldet massive Nachteile. Diese Erfahrung habe ich als Mitarbeiter von Datenschutzbehörden verschiedener Länder in unterschiedlichen Zusammenhängen immer wieder gemacht.

BLMplus: Die Digitale Agenda der Bundesregierung empfiehlt die Stärkung der Medienkompetenz, um die Chancen der Wissensgesellschaft nutzen zu können. Wie wichtig ist für Sie der Einsatz für einen sensiblen Umgang der Verbraucher mit ihren persönlichen Daten?

Die Stärkung der Medienkompetenz ist sehr wichtig. Eine effektive Verwertung von Chancen der digitalen Gesellschaft setzt Kenntnisse und Fertigkeiten des Einzelnen im Umgang mit modernen Medien voraus (Medienkompetenz, Privatsphärekompetenz, ökonomische Kompetenzen). Fehlen diese Kompetenzen bei dem Einzelnen, muss er damit leben, dass er die Chancen der digitalen Gesellschaft kaum nutzen kann und gleichzeitig ihren Risiken ausgesetzt ist.

Medienkompetenz allein reicht nicht aus

Aber: So wichtig die Stärkung der Medienkompetenz ist. Sie allein reicht nicht aus, um die Chancen der digitalen Gesellschaft zu nutzen und ihre Risiken angemessen zu begrenzen. Zu Recht hat der Bundesinnenminister jüngst in einem Zeitungsbeitrag darauf hingewiesen, dass die Bundesrepublik Deutschland ebenso wie die Europäische Union grundrechtliche Schutzpflichten zu erfüllen hat. Jedenfalls dort wo kommerzielle Datenverarbeitung das Persönlichkeitsrecht massiv oder fortdauernd verletzt, muss ein effektiver ordnungspolitischer Rahmen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts geschaffen werden. Deshalb halte ich es im Grundsatz für dringend erforderlich, dass der in der EU stockende Prozess zur Reform des europäischen Datenschutzrechtsrahmens erfolgreich fortgesetzt wird.

 

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