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11.08

Barrierefreiheit im Fernsehen

von Kerstin Prange unter TV

Ministerpräsident Horst Seehofer hat im Juli sein Versprechen erneuert, Bayern bis 2023 komplett barrierefrei zu machen. Wenn das auch für die Medien gelten soll, die nicht explizit erwähnt sind, dann kommt schnell die Frage auf, wie die privaten Fernsehanbieter das alles bezahlen sollen.

In einer Pressemitteilung des Bayerischen Sozialministeriums ist immerhin die Rede davon, dass es ein Sonderinvestitionsprogramm geben soll. Für private Fernsehanbieter wäre eine finanzielle Unterstützung für barrierefreie Angebote ein wichtiger Anreiz, der bisher fehlt. Und so wundert es auch nicht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Sachen Barrierefreiheit die Nase vorn hat.

Wenn von Barrierefreiheit im Rundfunk die Rede ist, dann ist vor allem eine Untertitelung für Gehörlose und Schwerhörige gemeint, aber auch Audiodeskription für Blinde. Private Sender bieten überwiegend eine einfache Untertitelung an, die auch zur Übersetzung nicht-synchronisierter fremdsprachlicher Filme eingesetzt wird. Gehörlose brauchen aber eigentlich auch eine Verschriftlichung der sonstigen akustischen Informationen und Geräusche, sogenannte spezielle Untertitel (sUT).

Untertitelung in Galileo-Beitrag_klein

Ein Galileo-Beitrag auf ProSieben über das Leben eines gehörlosen Politikers – natürlich mit Untertitelung.

Diese zu erstellen bedeutet für die Fernsehanbieter einen erheblichen finanziellen Aufwand, der bisher von den privaten Fernsehmachern nur sehr zögerlich getätigt wird, obwohl es in Deutschland nach Angaben des Deutschen Gehörlosenbunds ca. 80.000 Gehörlose und ca. 16 Millionen Schwerhörige gibt. Das sind immerhin über 20 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Noch nicht mitgerechnet ist, dass auch Menschen mit Migrationshintergrund, die noch nicht fließend Deutsch sprechen, von Untertiteln profitieren. Die Zahl der Schwerhörigen wird angesichts der stetig steigenden Lebenserwartung außerdem eher noch zunehmen. Die Zahl sehbehinderter Menschen ist statistisch nicht erfasst. Die vermutlich zuverlässigsten Zahlen hat ein WHO-Report von 2004 geliefert. Demnach leben in Deutschland ca. 164.000 blinde und ca. eine Million sehbehinderte Menschen. Das sind ca. 1,4  Prozent der Bevölkerung.

UN-Behindertenkonvention mit Appell an Massenmedien

Verstärkt diskutiert wird ein barrierefreier Zugang zum Rundfunk bereits, seit die „UN-Behindertenkonvention“ der Vereinten Nationen 2008 in Kraft getreten ist. In der UN-Behindertenkonvention werden die Massenmedien ausdrücklich dazu aufgefordert „ihre Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung zugänglich zu machen“.

Die Medienanstalten verfolgen das Thema seit 2011 intensiver, aber letztlich gibt es keine bindende Rechtsvorschrift, nach der die Medienunternehmen verpflichtet sind, ihr Angebot barrierefrei anzubieten. Im § 3 Abs. 2 des Rundfunkstaatsvertrages steht, die Veranstalter bundesweit verbreiteter Rundfunkprogramme „sollen über ihr bereits bestehendes Engagement hinaus im Rahmen ihrer technischen und finanziellen Möglichkeiten barrierefreie Angebote vermehrt aufnehmen“.

Für die privaten Anbieter ist so eine „Soll-Vorschrift“ natürlich ungefähr so, als ob man einen Jugendlichen bittet, sein Zimmer doch irgendwann mal ein bisschen aufzuräumen. Wenn der Gesetzgeber also will, dass hier ein echter Fortschritt auch bei den privaten Sendern erreicht wird, sollten die gesetzlichen Vorgaben etwas deutlicher formuliert und eine finanzielle Unterstützung geprüft werden.

Mindestens eine Sendung pro Abend mit Untertiteln

Um auch ohne gesetzliche Vorgaben bei den privaten Anbietern das Angebot von barrierefreien Sendungen zu erhöhen, hat die Gesamtkonferenz der Medienanstalten Ende 2012 die beiden reichweitenstärksten privaten Sendergruppen, die RTL-Mediengruppe und die ProSiebenSat.1 Media AG, dazu aufgefordert, mindestens eine Sendung pro Abend in einem Sender der Senderfamilie mit speziellen Untertiteln für Hörgeschädigte anzubieten. Um die Umsetzung zu überprüfen, gibt es seit 2013 eine Umfrage, in der die beiden Sendergruppen gebeten werden, ihre barrierefreien Angebote über drei Monate hinweg zu dokumentieren.

Derzeit läuft die Befragung für 2014, Ergebnisse liegen bisher nur von 2013 vor.  In 2013 ist die RTL-Gruppe der Aufforderung nicht nachgekommen, es finden sich lediglich etwa zwei bis dreimal in der Woche in der Prime Time einfach untertitelte Sendungen. Sendungen mit speziellen Untertiteln für Hörgeschädigte gab es nicht. Bei der ProSiebenSat.1 Media AG gab es im dreimonatigen Erhebungszeitraum 2013 regelmäßig zweimal die Woche eine Sendung mit speziellen Untertiteln für Hörgeschädigte in der Prime Time. Außerdem wurden regelmäßig Sendungen mit einfachen Untertiteln ausgestrahlt, so dass die Sendergruppe die Forderung nahezu erfüllte.

Eine Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Hörgeschädigte zeigt, dass die  ProSiebenSat.1 Media AG von zwei Wochen Programm Anfang 2013 eine Quote der Untertitelung von immerhin rund 22 Prozent hatte (Quelle: Programmbericht 2013, Hrsg.: die medienanstalten – ALM GbR). Außerdem will die ProSiebenSat.1 Media AG den Einsatz von speziellen Untertiteln (sUT) für Gehörlose kontinuierlich ausbauen und  plant bei neuen Sendern die technischen Voraussetzungen für die Einfügung einfacher Untertitel oder spezieller Untertitel für gehörlose Menschen im Teletext standardmäßig mit ein. Ziel ist es, eine sinnvolle Ergänzung zu den barrierefreien Angeboten der öffentlich-rechtlichen Sender im Bereich Unterhaltung zu bieten. Es werden diejenigen Formate untertitelt, die erfahrungsgemäß einen hohen Marktanteil im Gesamtpublikum erzielen.

Technische Innovationen erleichtern den barrierefreien Zugang

Über digitale Verbreitungswege sind barrierefreie Angebote technisch inzwischen deutlich einfacher und zuschauerfreundlicher zu realisieren. Über Videotext-Tafeln ist eine optionale Hinzuschaltung von Untertitelungen unproblematisch. Auch das Problem, bei analoger Kanalübertragung in der Audiodeskription auf den Stereoton verzichten zu müssen, ist durch die digitale Technik gelöst. Machbar und vorstellbar sind künftig auch Untertitel oder Gebärdendolmetscher, die auf einem Second Screen hinzugeschaltet werden.

Einfachere technische Lösungen erleichtern zwar das Ziel, möglichst viele barrierefreie Angebote auch im privaten Rundfunk zu bekommen, können aber die Notwendigkeit von weiteren, eventuell auch finanziellen Anreizen nicht ersetzen. Angesichts der Bedeutung des lokalen Rundfunks in Bayern für die Meinungsbildung, sind auch dafür alle Möglichkeiten der Unterstützung zu prüfen. Bisher bietet von den lokalen Fernsehanbietern in Bayern nur Donau TV am Samstag einen halbstündigen Wochenrückblick für Gehörlose an.

Foto: ProSieben

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