26.04
Was bedeutet Virtual Reality für die Gesellschaft? Prof. Dr. Frank Steinicke im Interview mit Tendenz Magazin
Raum und Zeit verlassen, in fremde Welten eintauchen: Ganz egal, ob im Medien-, Musik oder Marketingbereich – Virtual Reality (VR) ist einer der großen Medientrends. Anlass genug für Tendenz, das Medien-Fachmagazin der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), ihre heute erscheinende Ausgabe 1/2017 diesem Schwerpunkt zu widmen.
„Die Gesellschaft muss Antworten auf ethische Fragen der Virtual Reality finden“
Welche VR-Systeme gibt es eigentlich und was können sie? Wie ist der Stand der Dinge in der Games-Branche, die Vorreiter und Testfall beim Eintauchen in fremde Welten ist? Welche Chancen bieten die Möglichkeiten der Immersion für Journalismus und Marketing? Und: Braucht es einen ethischen Kodex für den Umgang mit Virtual Reality?
Virtual Reality-Experte Prof. Dr. Steinicke prognostiziert, dass wir schon in zehn Jahren nicht mehr erkennen können, ob es sich bei Bewegtbildern um echte Video-Sequenzen oder um vom Computer generierte virtuelle Inhalte handelt.
„Über mögliche Folgen etwa für unser Gehirn gibt es noch keine Erkenntnisse“
Tendenz: Was macht diese Technologie mit uns, wenn sie – ähnlich wie zurzeit die Smartphones –
immer mehr zum Teil unseres Selbst wird?
Das ist eine spannende Frage. Über mögliche Folgen etwa für unser Gehirn gibt es noch keine Erkenntnisse. Solche Prozesse sind oft evolutionär, das heißt, das dauert eben mitunter mehrere tausend Jahre. Ein echter Einfluss von Internet oder Smartphones hat deshalb noch kaum stattgefunden. Wie jede Technologie hat auch Virtual Reality Gefahren und Nachteile. Am Ende wird sich aber immer nur das durchsetzen, was für die Mehrzahl der Menschen den größten Vorteil bedeutet, zum Beispiel weil wir noch schneller und besser kommunizieren oder an Informationen herankommen können.
Und was ist mit der Virtual Reality Sickness? Ist das nur ein vorübergehendes Symptom?
Schwierig wird es immer, wenn meine Sensoren sich im Konflikt befinden. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Körper weiß, dass er sich nicht bewegt, die visuelle Wahrnehmung jedoch Bewegung signalisiert. Es gibt aber auch schon Bewegungssimulatoren, die sämtliche innere Körpersinne mit kohärenten virtuellen Informationen versorgen. Stimmen die physikalischen Bewegungen, die ich wahrnehme, mit den visuellen Bewegungen überein, lassen sich Sickness-Symptome vermeiden. Außerdem kann man den Konflikt zwischen den unterschiedlichen Wahrnehmungen auch trainieren und sich daran gewöhnen. Ähnliches passiert etwa auch bei der Seefahrt.
„Wir können zum Beispiel bei computergenerierten Bildern nicht mehr feststellen, ob sie die Wirklichkeit abbilden“
Wenn virtuelle Realität zunehmend zu täuschend echt wirkender Konstruktion von Wirklichkeit wird, drohen dann nicht auch ethische Konflikte?
Solche Probleme haben wir ja jetzt schon. Wir können zum Beispiel bei computergenerierten Bildern nicht mehr feststellen, ob sie die Wirklichkeit abbilden. Auch bei Kinofilmen lässt sich kaum erkennen, was von Computern generiert wurde. Noch aber lassen sich solche Produktionsprozesse nicht in Echtzeit herstellen. In zehn Jahren aber werden wir selbst bei bewegten Bildern nicht mehr identifizieren können, ob es Sequenzen eines Computerspiels sind oder eine Videoaufnahme. Dann stellt sich natürlich die ethische Frage, ob ich bei digitalen Informationen immer mitteilen muss, ob diese real oder virtuell sind. Darauf muss die Gesellschaft Antworten finden.
Brauchen wir deshalb nicht einen ethischen Kodex für den Umgang mit Virtual Reality?
Darüber kann man sicher nachdenken. Wer aber soll darüber entscheiden? Dürfen wir jemandem das Recht absprechen, sich bewusst mit einer virtuellen Realität zu umgeben, wenn er diese gegen eine für ihn sonst oft triste „echte“ Realität tauschen will? Andererseits gilt es zu prüfen, ob solche Illusionswelten nicht negative Auswirkungen auf uns haben. Das alles müsste noch wissenschaftlich untersucht werden.
Zur Person
Prof. Dr. Frank Steinicke ist Professor für Informatik an der Universität Hamburg. Der Experte für Virtual Reality studierte in Münster und lehrte anschließend an den Universitäten in Minnesota und Würzburg. Er hat sich auf das Forschungsgebiet Mensch-Computer-Interaktion spezialisiert. Zurzeit absolviert Frank Steinicke ein Forschungssemester am Human Interface Technology Lab in
Christchurch (Neuseeland).
Das komplette Interview gibt es in Tendenz 1/2017, die heute erscheint und hier zu lesen ist. Hier gibt es zusätzlich zu den Heftinhalten auch drei neue Clips zu den Phänomenen Virtual Reality, Augmented Reality und 360°-Videos.
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