10.02
Radiocoaching für junge Flüchtlinge
Nachdem sich im Herbst letzten Jahres die Meldungen zum Flüchtlingsthema häuften, hat sich Julia Witte, Redakteurin beim Spartenanbieter Radio Regenbogen in Rosenheim, gefragt, wie wir wegkommen können von Flüchtlingen als „Objekt“ der Berichterstattung und hin zu einer aktiven Beteiligung. Damit ihre Idee, ein Radiocoaching für junge Flüchtlinge anzubieten, in die Praxis umgesetzt werden kann, hat die BLM das Projekt unterstützt. Das Ergebnis: ein Sendeplatz bei Radio Regenbogen und die Verbreitung der Beiträge über die BLM-Radioplattform machdeinradio.de.
Radiocoaching: „Achtung, 10 seconds until we’re on air – jetzt!“
Wie können wir zeigen, das Flüchtlinge nicht immer nur Mitleid brauchen, sondern auch unseren Respekt verdienen? Am besten doch, indem nicht immer nur über sie berichtet wird, sondern sie selbst „on air“ gehen können.
So entstand meine Idee, ein Radiocoaching für junge Flüchtlinge anzubieten. Ich habe eine Mail verfasst und an alle möglichen Gruppen, Helferkreise oder Newsletter für Flüchtlingspaten geschickt.
Und – womit ich nicht gerechnet hatte – innerhalb weniger Stunden kamen schon die ersten Anrufe rein. Innerhalb weniger Tage hatte ich rund elf Interessenten zusammen. Meine Bedingung war von Anfang an, dass die Flüchtlinge gut Deutsch oder mindestens sehr gut englisch sprechen.
Beim ersten Treffen kam eine bunt gemischte Gruppe zusammen – junge Menschen von 20 bis 30, aus Syrien, Nigeria oder dem Senegal, mit ganz unterschiedlichen beruflichen Hintergründen. Die meisten hatten nur eine ganz grobe Vorstellung davon, wie es bei den Medien hinter den Kulissen aussieht und was sie bei dem Coaching erwartet.
Eine Sendung von und mit Flüchtlingen
Mir selbst ging es ähnlich: Ich hatte auch nur eine grobe Idee, wie das Ganze laufen sollte. Im Dezember sollte es eine Sendung geben, aber was darin vorkommt, wollte ich von den Ideen der Teilnehmer abhängig machen. Das Sendedatum hatte ich so früh gewählt, um einen überschaubaren Zeitrahmen zu setzen und ein Motivationsziel zu haben.
Die Teilnehmergruppe ist in den nächsten Wochen stark zusammengeschrumpft – am Schluss waren es noch drei, dafür aber hochmotiviert. Vielleicht haben sich die anderen durch meine kleinen Theorieblöcke abschrecken lassen, vielleicht dadurch, dass ich viel Eigeninitiative gefordert habe. Vielleicht war ihnen aber auch einfach die Anreise zu weit, die meisten haben nämlich nicht in Rosenheim gewohnt, sondern irgendwo im Landkreis.
Wir haben Interviewspiele gemacht, die Darstellungsformen durchgesprochen, deren Vor- und Nachteile diskutiert und dabei immer fröhlich zwischen den Sprachen gewechselt. Sehr interessant war die Reaktion auf meine kurze Erklärung der bayerischen Medienlandschaft. Die meisten haben sich gewundert, dass die öffentlich-rechtlichen Medien in Deutschland politisch unabhängig sind und nicht von der Regierung, sondern direkt von den Bürgern bezahlt werden.
Was bedeutet wohl …? Umfrage zu arabischen Sprichwörtern
Dann ging es schließlich an die konkrete Planung der Radiosendung: Beiträge, Interviews, wer will was machen? Eine lebhafte Diskussion gab es darüber, ob es in der Sendung vorrangig um „Flüchtlingsthemen“ gehen sollte oder nicht.
Das war eine Entscheidung, die ich bewusst den Teilnehmern überlassen wollte. Schließlich einigten wir uns, dass es um interkulturelle Erfahrungen gehen soll. Also um etwas, das die jungen Flüchtlinge jeden Tag beschäftigt, aber eben nicht ausschließlich nur Flüchtlinge beschäftigt.
Endlich standen unsere Themenideen: Eine Umfrage zu arabischen Sprichwörtern, ein Interview und eine auf zwei Sprachen eingesprochene Geschichte. Die letzte Idee hat einer der Teilnehmer selbst vorgeschlagen. Er war schon seit längerem mit einer professionellen Erzählerin in Kontakt. Die beiden hatten angefangen, eine Geschichte aus dem Senegal zu erarbeiten, um sie zweisprachig, immer abwechselnd, zu erzählen. Diese Geschichte haben wir dann aufgenommen und mit Musik unterlegt. Und noch ein kleines Interview gemacht: Ist das echt ein Beruf, von dem man in Deutschland leben kann – Erzählerin? Und so hört sich die zweisprachig erzählte Geschichte an:
Unsere Idee bei der Umfrage war: Es gibt unheimlich viele Sprichwörter im Arabischen, die meistens sehr metaphorisch sind. Wir lassen Leute auf der Straße raten, was die Sprichwörter bedeuten könnten und schneiden dann die lustigsten Antworten zusammen. Der erste Umfrageversuch war leider nicht sehr erfolgreich: Zwei der Teilnehmer kamen enttäuscht zurück und meinten, sie hätten zwar die Frage stellen können, aber die Antwort der Leute oft nicht verstanden. Also sind wir nochmal zusammen auf Umfrage-Tour gegangen. Manche der Passanten wirkten ein wenig überrascht, auf dem Rosenheimer Christkindlmarkt auf arabische Sprichwörter angesprochen zu werden, aber wir haben viele nette Antworten bekommen. Einige davon wollen wir euch nicht vorenthalten:
Kurzfristig umgeplant
Als dritten Beitrag hatten wir eigentlich ein Interview geplant mit einer Dame, die vor kurzem eine interessante Initiative für ein besseres Miteinander von Einheimischen und Flüchtlingen gestartet hatte. Das Interview hatte eine der Teilnehmerinnen am Telefon schon grob vereinbart, nur ein genauer Termin fehlte noch. Dann bekamen wir leider eine Mail, dass die Dame aufgrund der politischen Entwicklung nicht mehr hinter ihrer eigenen (eigentlich völlig unpolitischen) Initiative stehe und uns deshalb auch kein Interview geben möchte.
Aber wenn eine Option wegfällt, tut sich ja meistens bald eine andere auf. Also beschlossen wir, stattdessen kurzfristig eine Reportage über ein großes Benefizkonzert von lokalen Bands zugunsten des Rosenheimer Patenprojekts zu machen. Einen Ausschnitt aus dieser Reportage hört ihr hier:
Zum Schluss sind wir ziemlich unter Zeitdruck gekommen: Es fehlten noch die Moderationen! Eigentlich sollte es eine vorproduzierte Sendung werden – aber wir hatten keine Zeit mehr uns vor dem Sendetermin noch mal zu treffen, um alles aufzunehmen. Schaffen wir das live? Ich fühlte mich erinnert an meine ersten Radioversuche beim Uniradio. Da war immer viel Adrenalin dabei, und wenn eine Sendung erfolgreich beendet war, wurde gefeiert.
Zauber des Radiomachens
Der Zauber des Radiomachens. Genau den haben dann auch die Coaches erlebt: Die Spannung vor der Sendung, den Ärger über jeden kleinen Versprecher aber vor allem die Freude, dass am Ende alles geklappt hat. An dem Abend hat sich eine tolle Gruppendynamik entwickelt und danach waren wir uns einig: Fortsetzung folgt!
Meine ursprüngliche Idee war es, den Flüchtlingen die Möglichkeit zu geben, Selbstvertrauen zu gewinnen, weil sie als Medienmacher einmal selbst diejenigen sind, die die Fragen stellen. Außerdem sollte gezeigt werden, dass Medien ein wichtiger Teil der politischen Kultur eines Landes sind und der Zugang zu öffentlichen Diskussionen – und damit ein wichtiger Baustein für die Flüchtlinge, um ihr neues Umfeld zu verstehen. Beides große Ziele, denen wir aber denke ich einen kleinen Schritt näher gekommen sind.
Ganz herzlich bedanken möchte ich mich bei der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien für die Unterstützung und auch bei Radio Regenbogen, die Räume und Sendeplatz zur Verfügung gestellt und mich nach Kräften unterstützt haben!
Zur Info:
Wer ähnliche Ideen hat, dem steht die BLM-Radioplattform machdeinradio.de offen. Die Beiträge werden nicht nur zum Download angeboten, sondern auch live gesendet!
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