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10.01

O-Töne aus der Maschine? Adobes „Project VoCo“ könnte Radiowelt auf den Kopf stellen

von Sandra Mueller unter Radio

Noch ist VoCo „nur“ ein Projekt und das Programm nicht auf dem Markt. Doch was der Softwarekonzern Adobe Anfang November präsentiert hat, wirkt revolutionär: Eine Maschine, die anderen beliebige Worte in den Mund legen kann. Eine Maschine, die mit fremder Stimme sprechen kann. Man muss nur eintippen, was sie sagen soll. Auch Radiomacher könnten das Tool künftig nutzen. Aber sollen sie auch? Wofür? Und mit welchen Beschränkungen? Eine erste Umfrage unserer Blog-Autorin legt nahe: Radiomacher sollten klare Regeln finden.

Projekt VoCo: eine Art Photoshop für Audio

Adobes "Project VoCo"

Auto-Korrektur auch bald im Interviewschnitt? Adobe arbeitet an einer Art Photoshop für Töne. Quelle: Katharina Thoms

Klar ist: VoCo ist ein mächtiges Tool, wenn stimmt, was die Entwickler behaupten. Demnach reichen 20 Minuten Stimmmaterial aus, um das Programm danach in dieser Stimme sprechen zu lassen. Damit wäre eine neue Stufe der Audio-Bearbeitung erreicht, genauer: der Audio-Herstellung. Eine Art Photoshop für Audio mit vielen Einsatzmöglichkeiten im Radio:

• Ein Radiosender könnte Nachrichten von VoCo-Stimmen lesen lassen. Eine Redakteurin tippt, was Sie zu sagen haben. Gern auch in mehreren Versionen gleichzeitig. Der Sender spart damit Geld und Unannehmlichkeiten. Denn Computerstimmen werden nicht krank, wollen keine Lohnerhöhung und streiken nicht.
• Ein Radiosender muss für Umfragen niemanden mehr auf die Straße schicken. Er lässt stattdessen Facebook-Kommentare von verschiedenen VoCo-Stimmen sprechen. Das geht schneller und ist bequemer.
• Ein Sender will ein Statement von der Kanzlerin. Die ist unterwegs. Das Statement gibt es nur schriftlich. Auf Sendung hört man die Kanzlerin trotzdem reden: Mir ihrer VoCo-Stimme. Klingt einfach besser als nur vorgelesen.

Zweifel an Glaubwürdigkeit von O-Tönen

Noch sind das Gedankenspiele. Und noch kann niemand sagen, wie leistungsfähig VoCo wirklich wird. Doch die Entwicklungen rund um Stimmsynthese und Audio-Bearbeitung waren zuletzt rasant. Und Radiomacher sollten vorbereitet sein. Denn bei aller Bequemlichkeit und Effizienz, die VoCo verspricht: Die journalistischen Folgen dieses Tools könnten massiv sein. Auch schon, ehe Radiomacher es nutzen.

Volker Lilienthal zu "VoCo"

Journalismus-Professor Volker Lilienthal glaubt, dass VoCo die Wahrnehmung von Audio verändert. Foto: privat

Volker Lilienthal vom Institut für Journalistik in Dortmund jedenfalls ist sich sicher: VoCo wird die Wahrnehmung von Audio generell verändern, weil vermutlich auch Propagandisten das Programm nutzen werden, um ihren politischen Gegnern etwas in den Mund zu legen. Die Folge: „Wenn es vermehrt Fälle gegeben hat, dass ein Ton offensichtlich nicht echt war, dann sät das einen Generalzweifel: Welchem O-Ton kann ich dann überhaupt noch trauen?“

Wie kann professionelles Radio seine Glaubwürdigkeit behaupten?

Ein Zweifel, der Radiomacher künftig in Erklärungsnot bringen wird. Denn wie sollen sie beweisen, dass ihre O-Töne nicht manipuliert und synthetisiert sind? Adobe sagt, es wird dafür Wasserzeichen im Audio geben – überprüfbare Marker also, an denen erkennbar ist, ob ein Audio ein Original oder ein VoCo-Erzeugnis ist.

Doch wird das helfen? Der Vergleich mit Photoshop (auch von Adobe!) zeigt: Nicht wirklich. Denn überprüfbare Merkmale, an denen sich nachbearbeitete und gefälschte Bilder von Originalen unterscheiden lassen, gibt es. Dennoch verbreiten sich Bilder selbst dann, wenn sie als Fälschungen erkannt sind. Und ihre Wirkung entfalten sie in den Social Media Kanälen auch nach ihrer Entlarvung.

Das wird bei Audios nicht anders sein: VoCo wird deren Glaubwürdigkeit generell schwächen. Und Radiomacher werden sich häufiger als früher gegen Vorwürfe und Zweifel verteidigen müssen.

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Eine Fake-Debatte wird folgen. Und die Frage wird sein: Wie kann professionelles Radio seine Glaubwürdigkeit behaupten?

Grenzen ausloten und Codices festlegen

Norbert Linke, Radioberater aus Frankfurt, meint : Wie immer. Denn „schon bisher musste der Hörer darauf vertrauen, dass tatsächlich real war, was er an O-Tönen hörte. Das eben wird in Zukunft verstärkt eine journalistische Kompetenz sein, Fakten von Fake zu trennen und Behauptetes zu verifizieren oder aber als Schwindel zu enttarnen.“

Doch möglicherweise braucht es mehr. Denn, wenn manche mit dem neuen Audio-Tool skrupellos machen, was möglich ist, müssen die professionellen Radiomacher sich davon abgrenzen. Sie müssen Missbrauch in den eigenen Reihen verhindern, Verstöße klar ahnden und dem Publikum klar machen: Wir arbeiten seriös.

Aber was ist in der Audio-Welt seriös? Welche Bearbeitungs- und Produktionsschritte sind akzeptabel? Welche nicht? Bislang reden Radiojournalisten in Deutschland darüber selten und so gut wie nie öffentlich. Es gibt weder gemeinsame Codices noch verbindliche und publizierte Regelwerke. Nur wenige Sender haben Statuten, in denen explizit Grenzen der Audiobearbeitung festgelegt sind.

Anders im Fotojournalismus: Seit Bilder mit Photoshop manipulierbar sind, haben sich viele Agenturen und Zeitungen klare Regeln zum Umgang mit bildverändernden Eingriffen gegeben. Verstöße werden oft öffentlich besprochen, diskutiert und geahndet.

Eine solche Transparenz könnte künftig auch Radiosendern helfen. Sie sollten dazu frühzeitig anfangen, Grenzen auszuloten. Mit Szenarien wie oben beschrieben. Denn es geht darum zu (er)klären, welche der geschilderten VoCo-Anwendungen im Radio ethisch akzeptabel erscheinen.

Online-Umfrage zeigt große Vorbehalte

Eine erste Online-Umfrage unserer Blog-Autorin legt nahe: Viele Menschen haben große Vorbehalte.

Dass man im Radio zum Beispiel eine künstlich hergestellte Kanzlerin reden hören könnte, halten 61 von 101 Befragten für „nicht in Ordnung“ (Szenario 1). Nachrichten von synthetischen Sprechern lehnen 42 der Befragten ab (Szenario 2). Und rund jeder Dritte will zumindest, dass ihm gesagt wird, wenn so etwas mit VoCo gemacht wurde.

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Transparente Regeln für den VoCo-Einsatz erwünscht

Nun ist diese Umfrage natürlich nicht repräsentativ. Aber sie ist ein Indiz dafür, dass einiges von dem, was Radiomacher mit VoCo machen können, irritierend wirkt. Gerade für Hörer, die der Kraft guter Audios vertrauen wollen. Eine überwältigende Mehrheit der Umfrageteilnehmer wünscht sich jedenfalls klare und transparente Regeln für den Einsatz von VoCo im Radio. Und viele schlagen einen generellen Verzicht vor. Alle Umfrageergebnisse sind hier nachzulesen.

Vielleicht also könnte VoCo den Anstoß geben für einen Produktions- und Bearbeitungscodex, wie andere Medien ihn bereits haben. Das wäre dann mindestens so revolutionär wie die Technik hinter dem Tool.

Weitere Positionen und Diskussionen über das  Adobe Project VoCo:
http://www.fair-radio.net/2016/11/19/voll-contra-oder-voll-cool-lasst-uns-ueber-voco-reden/
https://newsandcast.wordpress.com/2016/11/13/nie-war-journalismus-wichtiger-warum-uns-voco-keine-angst-zu-machen-braucht/
http://www.deutschlandfunk.de/umstrittener-voiceconverter-kann-man-seinen-ohren-noch.761.de.html?dram:article_id=371865
http://www.radioiloveit.com/radio-production-radio-jingles-radio-imaging/abobe-audition-voco-versus-radio-journalism-ethics-sandra-muller-interview/
https://blogs.adobe.com/conversations/2016/12/peek-behind-the-sneaks-controversy-and-opportunity-in-innovation.html

Ein Kommentar

Ein Kommentar zu: O-Töne aus der Maschine? Adobes „Project VoCo“ könnte Radiowelt auf den Kopf stellen

  1. kalkfalke sagt:

    Ich bin mal gespannt, ob Voco hält, was es verspricht, oder ob die Texte nicht doch eher wie YouTube Kacke klingen. Ansonsten erleichtert Voco nur den Schnittmeistern die Arbeit, die bisher mühsam alles von Hand aus Silben und Lauten zusammenstopseln mussten.

    Zu den genannten Anwendungsbeispielen: gerade auf kleinen Privatsendern wurde die Straßenumfrage längst durch den Aufruf zur Erkundung von Sprachnachrichten ersetzt, da braucht es kein Voco. Und die Verkehrsmeldungen wurden vor ein paar Jahren z.B. bei Delta Radio schon aus vorgefertigten Sprachbausteinen zusammengesetzt und per Computer eingespielt.

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