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28.01

Mehr Entertainment, weniger Kommunikation – JIM-Studie 2020

von Wolfgang Scheidt unter Netzwelt

Die Mediennutzung der Zwölf- bis 19-Jährigen boomt im Corona-Jahr 2020. Bei der digitalen Unterhaltung sind vor allem Video-Streamingdienste und Onlinegames gefragt, aber auch das mediale Informationsbedürfnis ist leicht gestiegen. Die Shootingstars von Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen sind Netflix, YouTube, TikTok und mobile Games, auch das lineare Fernsehen hat profitiert, so die wichtigsten Ergebnisse der JIM-Studie 2020

 Seit 23 Jahren liefert die Jugendmedienstudie JIM (Jugend, Information, Medien) Kennzahlen zum Mediennutzungsverhalten der Zwölf- bis 19-Jährigen in Deutschland. Die Studie wird von den Landesmedienanstalten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg in Kooperation mit dem Südwestrundfunk (SWR) durchgeführt. Das Corona-Jahr 2020 stellte den Alltag der Kids auf den Kopf: viele Freizeitaktivitäten waren nicht oder nur eingeschränkt möglich. Wochen- bis monatelang kam es zu Schulschließungen, Fernunterricht war die Folge.

Einen Push erfuhr die Geräteausstattung: 94 Prozent der Jugendlichen besitzen ein Smartphone, drei Viertel der Jugendlichen einen eigenen Computer/Laptop. Jeder zweite Jugendliche hat einen Fernseher im Zimmer. Das Internet gehört zum Alltag der Jugendlichen: 89 Prozent nutzten täglich das Netz, die tägliche Onlinenutzung stieg 2020 um rund 26 Prozent von 205 auf 258 Minuten. Bei der inhaltlichen Verteilung rangiert die Unterhaltung mit 34 Prozent vor Spielen (28 Prozent), Kommunikation (27 Prozent) und Informationssuche (elf Prozent). Ein Trend: Unterhaltung ist auf dem Vormarsch, während die Kommunikation an Boden verliert.

Hannah Basten, SWR
© SWR/Patricia Neligan

„Generell können wir feststellen, dass Netflix mit Serien und Filmen, aber auch YouTube ihre Position weiter ausgebaut haben“, beobachtet Hannah Basten, Unternehmenssprecherin des SWR. „Bei YouTube bleiben Musik (51 Prozent), lustige Clips (43 Prozent) und Let’s-play-Videos (32 Prozent) sehr beliebt.“ Gerade mit Let’s-Play-Videos, also dem Vorführen und Kommentieren des Spielens eines Computerspiels, ist die Gamer-Szene via YouTube und anderer Videoplattformen dicht an der jungen Zielgruppe.

„Bei YouTube wird aber auch das Informationsbedürfnis der Jugendlichen bedient – 26 Prozent sehen sich regelmäßig Wissensformate an, knapp ein Viertel (24 Prozent) schaut auf YouTube Videos, in denen es um Nachrichten und Ereignisse in der Welt geht“, verrät Basten. „Auch das klassische Fernsehen hat entgegen dem allgemeinen Trend 2020 zugelegt, die Nutzungsdauer hat sich um eine halbe Stunde erhöht.“ Die TV-Lieblingsgenres bei Teens und Twens: Comics, Zeichentrick und Animes, dicht gefolgt von Scripted Reality und Krimi/Mystery.

Premium-Inhalte sind Trumpf

„In der Corona-Hochphase gingen die Marktanteile und Reichweiten unserer Sendergruppe durch die Decke – und bescherten uns Rekordzahlen“, erinnert sich ein Unternehmenssprecher der Seven.One Entertainment Group. „Und auch unsere digitalen Angebote profitierten davon, dass die Menschen zur Lockdown-Zeit natürlich verstärkt alle vorhandenen Unterhaltungsplattformen nutzten.“ Auch wenn die Reichweiten seit der Lockerungsphase im Sommer naturgemäß wieder etwas heruntergingen, blieb die Erkenntnis: Hochwertige Inhalte sind Trumpf. Profitieren konnte das gesamte Entertainment-Kerngeschäft von ProSiebenSat.1: alle linearen Free-TV-Sender, die digitalen Senderseiten, die gemeinsam mit Discovery geführte Streaming-Plattform „Joyn“ sowie weitere Plattformen, darunter Angebote von Drittanbietern wie YouTube.

Insbesondere bei der sehr jungen Zielgruppe hoch im Kurs: die YouTube-Kanäle der Erfolgsmarken „Galileo“ oder „The Voice Kids“ sowie junge Joyn-Formate wie „Krass Klassenfahrt“ oder „Stichtag“ mit populären Influencern. Während der Corona-Krise wurden in kürzester Zeit neue Formate auf den Schirm und ins Netz gebracht – so schnell, wie wohl nie zuvor in der Unternehmensgeschichte. Auf „Joyn“ wurde das Format „Join me @ home“ gelauncht, das die ganz persönlichen Geschichten von TV- und Social-Media-Größen in der Selbstisolation erzählt. „Am Anfang überwog das Bedürfnis nach schneller und zuverlässiger Information“, resümiert ein Unternehmenssprecher der Seven.One Entertainment Group. „Im Laufe der Zeit wuchs dann das Bedürfnis nach Zerstreuung und Ablenkung. Das schlug sich in hervorragenden Zahlen unserer Programme nieder wie zum Beispiel bei ‘The Masked Singer‘ auf ProSieben oder ‘Promis unter Palmen‘ in SAT.1.“

Mehrspielerspiele mit Community-Appeal

Bei den regelmäßigen medialen Aktivitäten der Jugendlichen dominierten neben der generellen Nutzung von Internet und Smartphone (je 97 Prozent), das Musikhören (93 Prozent), Online-Videos (90 Prozent), lineares TV (72 Prozent) und Video-Streaming-Dienste (70 Prozent). Gefolgt von digitalen Spielen (67 Prozent), die erstmals das klassische Radiohören (58 Prozent) in der Gunst der jungen Menschen überflügelten. Die geschätzte werktägliche Spieldauer von Onlinespielen stieg bei den Jugendlichen um 40 Minuten.

Simone Lackerbauer, Games/Bavaria
© vogelwild und andres

Auch die Games-Industrie beobachtete das Jahr 2020 aufmerksam: „Mit Games wurde auch 2020 verantwortungsbewusst umgegangen, der Konsum nahm nicht aufgrund von Corona überhand“, interpretiert Simone Lackerbauer, Product Lead Games bei Games/Bavaria, dem Partner für die Strukturförderung der bayerischen Spieleindustrie, den moderaten Anstieg. „Dass nur acht Prozent der Jugendlichen nie digital spielen, zeigt, dass Gaming ein normalisiertes Hobby und fester Bestandteil der Jugendkultur ist“, sagt sie. Smartphones ermöglichen mobiles Gamen, sogenannte Idle-Games sind darauf angelegt, dass Spielende unterwegs kurz ein paar Minuten aktiv sind und der Spielfortschritt in der Zwischenzeit weiterläuft.

Insofern überrascht es die Spielexpertin nicht, dass die Hälfte der mit 41 Prozent bezifferten täglichen Nutzung von digitalen Spielen auf mobile Games entfällt. „Die Wahl des Lieblingsspiels zeigt, dass Spiele auch andere Bedürfnisse adressieren. Die meisten Top-Spiele sind Mehrspielerspiele mit einem sozialen und kommunikativen Aspekt sowie Communities, die sich über mehrere Kanäle erstrecken, wie zum Beispiel YouTube, Twitch oder Discord“, erläutert Lackerbauer. „Der teilweise signifikante Nutzungszuwachs bei Klassikern wie Instagram und Twitter, aber auch bei neueren Plattformen wie Snapchat, TikTok und Twitch bietet für die Gamesbranche neue Zugänge zur Zielgruppe.“ Ein innovatives Beispiel: die bayerische Firma audEERING entwickelte eine App, die anhand von KI mittels App am Husten erkennen soll, ob eine Corona-Infektion vorliegt.

Im Fokus: YouTube und Instagram

Für Lackerbauer ist die Spielebranche per se kein Corona-Gewinner. „Vor allem die Firmen profitieren, die bereits Produkte auf den Markt gebracht haben. Bei der Neu- oder Weiterentwicklung stocken die Prozesse teilweise, ebenso beim Recruiting und ganz besonders bei der Suche nach einem Publisher – daher müssen viele Spielefirmen kreativ mit der aktuellen Situation umgehen.“ Jugendliche, die durch Corona zu den digitalen Spielen gefunden haben, werden vermutlich auch bei diesem Hobby bleiben, wenn ein regulärer Alltag wieder möglich ist.

Basten rechnet dennoch mit einem leichten Rückgang der Spieldauer und der absoluten Onlinenutzung von Jugendlichen, natürlich abhängig von der Pandemieentwicklung. „Das Streamen von Audio und Video wird sich dagegen verstetigen, YouTube wird noch stärker als Suchmaschine genutzt und die Bandbreite der genutzten Games wird sich erweitern“, prognostiziert die SWR-Unternehmenssprecherin. „Die dynamische Entwicklung von TikTok hat gezeigt, wie schnell neue Anbieter Verbreitung finden, wenn sie Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen bedienen. Ob eine reine Audioplattform wie Clubhouse bei den Jugendlichen erfolgreich sein wird, ist ungewiss, aktuell stehen eher Video und bildorientierte Angebote wie YouTube oder Instagram im Fokus.“

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