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17.03

Hyperlokaler Echtzeitjournalimus – Kann man damit Geld verdienen?

von Marcel Tuljus unter Netzwelt

Taeglich meVier ehemalige Lokalredakteure der „Westdeutschen Zeitung“ glauben fest daran, dass sich hyperlokaler Journalismus finanzieren lässt und haben nach gut einem halben Jahr intensiver Vorbereitung im November 2014 ihre Online-Abo-Zeitung Taeglich.ME an den Start gebracht. Nach einigen Monaten zieht der Redakteur und Geschäftsführer Philipp Nieländer im BLMplus-Interview Bilanz – und zwar eine recht positive.

BLM plus: Wie kommt eine Hand voll Journalisten aus dem klassischen Bereich dazu, ein hyperlokales Portal mit einer Bezahlschranke zu gründen? Klingt erstmal nach finanziellem Selbstmord?!

Philipp Nieländer: Finanzieller Selbstmord? Nein! Wohl aber ein Risiko. Aber: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Ein finanzieller Selbstmord wäre es doch eher, weiterhin auf das Medium zu setzen, das in den letzten Jahren massiv an Auflage verloren hat und – so die Prognosen – auch weiter verlieren wird: die klassische Tageszeitung. Die Idee ist entstanden, weil wir häufig gedacht haben, dass man lokale Inhalte heutzutage besser, schneller und anders an den Leser bringen kann, als es die etablierten Zeitungsverlage tun.

Was hat Ihnen an dem journalistischen Konzept und an dem Geschäftsmodell Ihres früheren Arbeitgebers nicht gepasst?

Viele lokale Zeitungen ziehen sich, meist aus Kostengründen, immer weiter aus der (eigenständigen) lokalen Berichterstattung zurück. Immer weniger Kollegen müssen immer mehr schreiben. Oder es werden – wie bei uns im Kreis Mettmann – gleich ganze Lokalredaktionen aufgelöst und man übernimmt stattdessen einfach von einem Tag auf den anderen die redaktionellen Inhalte des bisherigen Konkurrenten, so dass der Leser zwar weiterhin zwischen zwei Zeitungstiteln wählen kann, der Inhalt im Lokalteil aber fast identisch ist. Und das wird dem Leser dann auch noch mit den Worten, dass sich ja fast nichts ändere, verkauft.

Warum glauben Sie speziell an das hyperlokale Konzept?

Weil die Menschen nicht nur erfahren wollen, was am anderen Ende der Welt passiert, sondern auch, was vor der eigenen Haustür los ist. Warum ist am Nachmittag die Feuerwehr in voller Stärke ausgerückt? Warum ist drei Straßen weiter plötzlich eine Großbaustelle? Aber auch: Was könnten wir denn am Wochenende unternehmen? Darauf können wir die Antworten geben. Neben der reinen Berichterstattung über aktuelle Themen und Ereignisse analysieren und erklären wir aber auch – beispielsweise, was ein auf den ersten Blick abstrakter Ratsbeschluss für konkrete Auswirkungen auf den einzelnen Bürger hat. Dafür braucht es erfahrene Redakteure, die sich in den Städten gut auskennen, idealerweise sogar in der Stadt leben. Die haben wir.

Ist „lokal“ ein Verkaufsargument, dass bei den Lesern zieht und sie zum Zahlen bewegt?

Wer sich über das Geschehen aus aller Welt informieren möchte, braucht dafür heutzutage nicht mehr zwingend eine Tageszeitung. Dafür gibt es eine Fülle an Internet-Nachrichtenportalen. Im Netz wird fast in Echtzeit über wichtige und manchmal auch unwichtige überregionale Ereignisse berichtet. Im Lokalen gibt es das bisher so gut wie nicht. Zwar hat jeder große Zeitungsverlag eine Internetseite, auf der dann aber häufig nur 1:1 die Berichterstattung aus dem Print zu finden ist – und das oft auch erst dann, wenn die gedruckte Ausgabe erscheint. Diese Verzögerung gibt es bei uns nicht. Wenn ein Artikel fertig ist, erscheint er auch direkt – oft mit Bildergalerie oder sogar einem Video. Bei uns gibt es keinen Redaktionsschluss, keine Zeilenbeschränkung – aber umgekehrt auch keine weiße Seite, die krampfhaft mit Inhalten gefüllt werden muss. Das sind Verkaufsargumente, die ziehen und mit denen wir punkten können. Aber das reicht nicht. Entscheidend ist am Ende, über welche Themen berichtet wird und wie darüber berichtet wird.

Können Sie uns bereits Reichweiten und Abozahlen nennen?

Wir sind im November 2014 bei 0 gestartet und haben inzwischen knapp 1400 registrierte Nutzer, die ein Abo abgeschlossen haben. Die Laufzeiten reichen dabei vom Tagesabo für einen Euro bis hin zum Jahresabo für 60 Euro. Dass unsere Abonnenten Taeglich.ME regelmäßig und intensiv nutzen, zeigt die Analyse der Zugriffszahlen. Im Februar beispielsweise gab es fast 212.000 Seitenaufrufe. Worauf wir übrigens sehr stolz sind, ist die demografische Verteilung. Die 45- bis 54-Jährigen stellen mit etwa 28 Prozent die größte Lesergruppe, danach folgen fast gleichauf die 35- bis 44-Jährigen, die Über-65-Jährigen und die 25- bis 34-Jährigen. Wir haben also viele junge Leser – normalerweise nicht die klassischen Tageszeitungsabonnenten -, aber auch viele ältere Leser, die sich schnell mit dem neuen Medium angefreundet haben.

Sind mit den Einnahmen von Taeglich.ME die Mitarbeiter so zu zahlen, wie man es sich wünscht? Ist das Abo dafür nicht eigentlich zu günstig?

Wir haben immer gesagt, dass wir erst dann freie Mitarbeiter beschäftigen, wenn wir diese auch angemessen und fair bezahlen können. Seit Februar haben wir für die lokale Sportberichterstattung einen ersten Mitarbeiter im Einsatz, der bei uns mehr verdient, als wenn er die gleiche Arbeit für eine regionale Tageszeitung machen würde. Alle anderen Taeglich.ME-Macher – sowohl die vier Stammredakteure als auch unser IT-Experte – sind Gesellschafter des Unternehmens und prozentual am Gewinn beteiligt. Der Abo-Preis ist immer eine Gratwanderung. Nachdem die großen Verlage über Jahre hinweg für eine Gratis-Mentalität im Internet gesorgt haben, muss man den Lesern erst einmal klar machen, warum es gut recherchierte journalistische Inhalte im Netz nicht umsonst geben kann.

Auf Ihrer Website sind noch keine Mediadaten zu finden. Wie ist die Nachfrage nach lokaler Werbung?

Doch doch, die Mediadaten gibt es (Anmerkung der Red.: unter www.taeglich.me/werben). Sie waren in den letzten Tagen nur etwas versteckt, weil wir sie noch einmal komplett überarbeitet haben. Wir haben beim Start im November schlicht und einfach nicht damit gerechnet, dass Unternehmen Interesse an einer Anzeigenschaltung auf einem ganz neuen Portal haben. Darum haben wir in der stressigen Phase vor dem Taeglich.ME-Launch die Erstellung der Mediadaten immer wieder nach hinten geschoben. Am 10. November – am Morgen nach dem Start – gab es dann aber direkt die ersten drei Anzeigen-Anfragen, so dass wir in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus dem Bauch heraus Mediadaten erstellt haben. Seither hat es rund 20 Anzeigenbuchungen gegeben – vom kleinen Handwerksunternehmen bis hin zur Kreissparkasse Düsseldorf. Es sind alles Unternehmen, die auf uns zugekommen sind. Nun haben wir nicht nur neue Mediadaten, in die die Erfahrungen der letzten Monate eingeflossen sind, sondern auch eine Anzeigenberaterin. Die Resonanz ist sehr positiv.

Ihre Plattform ist sogar länderübergreifend – warum? Und wie sind denn die Zugriffe aus den Niederlanden?

Wir machen noch keine Plakatwerbung in Amsterdam und es kreisen auch noch keine Taeglich.ME-Werbeflugzeuge über dem Strand von Noordwijk. Es ist aber richtig, dass es Zugriffe aus aller Welt gibt. Soweit wir das nachvollziehen können, sind das dann Leser, die auch im Urlaub nicht auf Informationen aus der Heimat verzichten wollen. Das ist ja das Schöne: Taeglich.ME kann man überall lesen, wo es einen Internetzugang gibt. Wir haben aber einige Exil-Abonnenten, also gebürtige Mettmanner, Wülfrather oder Haaner, die irgendwann ausgewandert sind. Wir wissen zum Beispiel von einem Abonnenten, der in Thailand lebt und regelmäßig nachliest, was in seiner alten Heimat so los ist.

Wie sieht denn der langfristige Plan aus?

Wir wollen keine kurzfristige Seifenblase aufpusten, sondern langfristig Erfolg haben. Wir möchten definitiv weiter wachsen – aber in einem vernünftigen Tempo. Es bringt nichts, wenn wir einfach weitere Städte dazu nehmen und so das Verbreitungsgebiet vergrößern, dann aber die Leser qualitativ und quantitativ nicht überzeugen können, weil wir die Ressourcen nicht haben. Das, was wir machen, wollen wir vernünftig machen. Es gibt eine ganz seriöse Businessplanung mit verschiedenen Optionen – die Details daraus können wir aber noch nicht verraten. Dafür schauen die anderen Verlage zu genau auf das, was wir tun.

Philipp Nieländer

Philipp Nieländer, Taeglich.ME

Philipp Nieländer ist Redakteur  und Geschäftsführer bei Taeglich.ME. Er hat sein Volontariat bei einer regionalen Tageszeitung absolviert und anschließend vier Jahre lang die Redaktion eines Anzeigenblattes in Mettmann geleitet. Seit einigen Jahren ist er selbstständig, Chefredakteur eines regionalen Wirtschaftsmagazins und Geschäftsführer bei Taeglich.ME.

Weitere Infos und Links:

Website: Taeglich.ME

Phillipp Nieländer spricht am 15. April 2015 auf der Local Web Conference in Nürnberg zum Thema „Mit Journalismus hyperlokal Geld verdienen“.

 

3 Kommentare

3 Kommentare zu: Hyperlokaler Echtzeitjournalimus – Kann man damit Geld verdienen?

  1. Silvia sagt:

    Toller Artikel mit ganz wichtigen Informationen. Dieses Thema ist ja für immer mehr Menschen sehr wichtig. Da ist es gut, sich auf diese Art und Weise darüber informieren zu können.

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