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27.06

Das Private ist auch politisch

von Gastbloggerin Klaudia Wick unter TV

Kaum zu glauben, aber wahr: 2014 liegen 30 Jahre Privatfernsehen hinter uns. Am 1. Januar 1984 ging der Sat.1-Vorläufer PKS auf Sendung und einen Tag später wurde RTL geboren. Über so manches Format wurde heftig gestritten, so manches Format setzte Programmtrends. Wir haben Klaudia Wick, u.a Jurymitglied des Deutschen Fernsehpreises gebeten, die Privat-TV-Geschichte in Thesen zu fassen.

Das Tele-Lagerfeuer brennt neuerdings im Dschungelcamp. Mit acht Millionen Zuschauern hat die RTL-Show „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“  Anfang 2014 zwei Wochen lang die Gespräche in Kantinen, auf Schulhöfen und sogar in den Feuilleton-Redaktionen bestimmt. Halb Fernsehdeutschland diskutierte: „Was ist echt, was inszeniert?“ Und fragte sich insgeheim: „Was würde ich alles schlucken, um eine Privatinsolvenz abzuwenden?“

Gesellschaftsthemen werden heute im Privatfernsehen erörtert.
Fernsehköche beklagen die mangelnde Arbeitmoral von Selbstständigen, eine Diplompädagogin zettelte eine Erziehungsdebatte an, ein Schuldenberater mahnt im werbefinanzierten Fernsehen zu Konsumverzicht, ein Pop-Produzent predigt eisernen Durchhaltewillen. Wer hätte sich vor dreißig Jahren vorstellen können, dass die neuen Programme ihr Publikum mit so ernsten Themen konfrontieren würden?

sat1gluecksradDie Politik hatte sich vom „Dualen System“ mehr Vielfalt erhofft. Aber diese Erwartung wurde schnell enttäuscht. Als die Kommerzsender RTL und Sat.1 vor dreißig Jahren starteten, war klar: Nur mit extrem auffälliger Unterhaltung würden sie ARD und ZDF Zuschauer abnehmen können. Hohe Geldgewinne und wenig Tabus brachten den Erfolg. Während in der ARD-Show „Was bin ich?“ ein Schweinderl mit fünfzig Mark gefüllt wurde, konnten die Publikumskandidaten in der „Dauerwerbesendung“ „Glücksrad“ Sachpreise bis zu 80.000 Mark abräumen. Während im „Internationalen Frühschoppen“ Auslandskorrespondenten über Weltpolitik debattierten, veranstaltete der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Erich Böhme in „Talk im Turm“ bei Sat.1 Politainment auf Stammtischniveau.

Tabubrüche. Ulrich Meyer erfand mit „Explosiv – Der heiße Stuhl“ den Telepranger, in „Nur die Liebe zählt“ wurden Liebeschwüre zur selbstverständlichen Veröffentlichung, „Hans Meiser“ machte zahllose Selbsthilfegruppen berühmt. In ihren besten Zeiten war „Schreinemakers live“ eine vierstündige Sendung, in der es genauso gut um die Schüsse von Bad Kleinen wie um die Volkskrankheit Durchfall gehen konnte. Der Fernseharbeiter Stefan Raab verspottete das Fernsehen in „TV Total“ und einer Wokschüssel. Harald Schmidt verachtete erst das Comme il fault, dann das Publikum.

Das Wunder von LengedeFoto:Sat.1/Gordon M¸hlePionierarbeit. Die größte Wirkungsmacht entfaltete das so genannte „kommerzielle Fernsehen“ aber bei der nicht-kommerziellen Konkurrenz.  Zu einem Zeitpunkt, an dem die wenigsten Deutschen die neuen Programme überhaupt empfangen konnten, bereitete sich das öffentlich-rechtliche System schon auf die neue Tonlage vor: Wer weiß, ob ARD und ZDF sich je zu einem Morgenmagazin zusammengefunden hätten, wenn RTLplus und Sat.1 das Frühstücksfernsehen nicht eingeführt hätten? Vor allem in der Unterhaltung brachen zunächst alle Dämme. In der Skandalshow „4 gegen Willi“ zertrümmerte die Punkband „Die toten Hosen“ im Auftrag des Bayerischen Fernsehens die Wohnzimmereinrichtung einer Kandidatenfamilie, eine junge Frau wurde von Gastgeber Mike Krüger genötigt, über die zwanzig halbnackten, eingeölten Leiber einer Eishockeymannschaft zu klettern. 17 Millionen Zuschauer schauten diesem Spektakel zu – die Show gilt bis heute als der ARD-Sündenfall. Und sogar das fiktionale Erzählen, wie wir es heute kennen, hat seinen Ursprung im Privaten: Die Sat.1-Eventproduktionen „Der Tunnel“, „Das Wunder von Lengede“ und „Der Tanz mit dem Teufel“ erprobten erstmals das historische Erzählen als opulente Kintopwelt.

arabellatalkDas Privatfernsehen hat eine ganze Konsumentengeneration erzogen. Die immer gleichen Sendeschemata ließen sich auch ohne den Blick in die Programmzeitschrift merken, täglich wiederkehrende Pogramme wie die Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ oder die Talkshow „Arabella“ strukturierten nun den Alltag weit mehr als die 20 Uhr Tagesschau. Das Programm wurde in den neunziger Jahren im doppelten Sinne durchschaubar. Es war berechenbar und pausenlos. Alle Sender setzten alles daran, den einmal gewonnen Zuschauern keinen Anlass zum Umschalten mehr zu geben: Bei RTL und Sat.1 folgte am Nachmittag Talk auf Talk, beim ZDF Krimi auf Krimi. Bekannte Gesichtern und eingeübte Dramaturgien sollten nun eine fast persönliche Vertrautheit schaffen, die aus dem Fernsehen einen Alltagsbegleiter macht.

Vom Sensationsprogramm zum Begleitprogramm. Aber kaum einer sitzt heute noch gebannt davor. Das lodernde Lagerfeuer von einst ist zum Wohnzimmerkamin geworden, das Programm schwelt darin wenig beachtet vor sich hin. Aus dem Sensationsprogramm, das seine Zuschauer mit Tabubrüchen und Affektinszenierungen in den Bann zog, ist ein Begleitprogramm geworden, von dem vor allem die prompte ständige Affektbefriedigung erwartet wird. Um die immer spezifischeren Bedürfnisse befriedigen zu können, sind Sparten- und Zielgruppenprogramme entstanden, die den ganzen lieben Sendetag lang die gleiche Programmfarbe anbieten und dabei das längst abgeschriebene Programmvermögen noch einmal zu Geld machen.

Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!Das Fernsehen droht zum Zwei-Generationen-Medium zu werden. Die Babyboomer sind mit ARD und ZDF aufgewachsen, die Wendegeneration wurde mit RTL, Sat.1, Vox und ProSieben sozialisiert. Die Kinder der Berliner Republik sind nicht mehr in der Fernsehlandschaft, sondern in der digitalen Welt zuhause. Dort ist die Zerstreuung noch größer, der Tabubruch bei Youtube noch krasser, das Gemeinschaftsgefühl bei Facebook noch schöner. Dass Medienkonsum keine erhabene, sondern eine beiläufige Angelegenheit ist, hat das Privatfernsehen zuerst verbreitet. Aber wer weiß schon, ob das televisionäre Lagerfeuer der achtziger Jahre ohne das Duale System nicht genauso erloschen wäre? Oder mal anders gefragt: Wer kann schon wissen, ob im zunehmend verzweifelten Wettstreit um die Aufmerksamkeit der Digital Natives am Ende nicht sogar der BR die Lizenz für das Dschungelcamp gekauft hätte?

Bildnachweise: Sat.1, ProSieben, RTL

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