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10.11

„Konsum sollte immer mit einer kritischen Perspektive verbunden werden“

von Stefanie Reger unter Medienkompetenz

„Like it – share it – buy it! Neue Werbeformen im Alltag Jugendlicher” – das ist das Thema der Fachtagung des Forums Medienpädagogik diesen Donnerstag in der BLM. Neben Experten aus Medienpädagogik, Werbung und Konsumforschung vertritt der Münchner Medienethiker Prof. Dr. Alexander Filipović die ethische Perspektive. Wir haben vorab mit ihm gesprochen.

Konsum gehört dazu – aber kritisches Denken auch

BLM plus: Herr Filipović, „Zielgruppe Jugendliche: kritisch oder konsumgeil?“ ist das Thema der Abschlussdiskussion auf der Fachtagung des Forums Medienpädagogik mit dem Schwerpunkt „Jugendliche und Werbung“. Wie beantworten Sie als Medienethiker diese Frage?

Medienethiker Prof. Dr. Alexander Filipović

Prof. Dr. Alexander Filipović, Medienethiker

Alexander Filipović: Natürlich gibt es Jugendliche, die kritisch genug sind, Werbung zu erkennen, sich widerständig zu verhalten und nicht darauf hereinzufallen. Aber es gibt auch genug Jugendliche, die konsumgeil sind. Ihnen geht es im Wesentlichen darum, viele schöne Dinge zu besitzen. Das ist auch erstmal gar nicht schlimm, denn es gehört dazu. Gerade wenn Jugendliche mitten in ihren Entwicklungsaufgaben stecken, markiert der Konsum bestimmter Dinge ja die Zugehörigkeit zu gewissen Gruppen. Allerdings sollte Konsum immer mit einer kritischen Perspektive verbunden werden. Den Jugendlichen sollte bewusst sein, dass sie sich damit abhängig von fremden, ökonomischen Interessen machen.

Die Studie „Jugendliche und Online-Werbung im Social Web“ (JFF, 2014) beschreibt Heranwachsende als verletzliche Verbraucherinnen und Verbraucher…

Verletzlich ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt – aber es wird schon ganz schön viel Marketing- und Werbeenergie eingesetzt, um diese Zielgruppe zu erreichen. Der Einzelne kann daher natürlich – gerade, wenn er erst wenig Lebenserfahrung hat – zu einem Opfer von Werbung und Marketing werden. Aus dem Grund sehe ich die Jugendlichen als besonders bedrohte Zielgruppe. Deshalb müssen wir uns, allen voran die Eltern, um sie kümmern! Wichtige Fragen sind in dem Zusammenhang: Wird Werbung überhaupt erkannt? Können Werbestrategien und -inhalte, vor allem online, wo besonders um diese wichtige Zielgruppe gekämpft wird, richtig eingeordnet werden? Wenn diese Fragen richtig reflektiert werden, hält sich die Problematik in Grenzen.

Jugendliche kennen ja – Facebook sei Dank – die Mechanismen der Selbstinszenierung. Man könnte meinen, sie besitzen daher auch ein besseres Gespür für die Gesetze der Vermarktung und können Werbung kompetenter dechiffrieren und auch ausblenden als die Generationen davor…

Ein wichtiger Punkt! Wenn man sich anschaut, wie selbstverständlich junge Leute Facebook, Instagram etc. nutzen, um sich zu inszenieren und sich strategisch in ihrem Freundeskreis, aber auch vor größeren Öffentlichkeiten zu positionieren, dann bedeutet das mit Sicherheit, dass sie kommunikative Strategien schneller erkennen als früher. Aber die Werbung ist natürlich genauso geschickt und setzt vielleicht deshalb einfach bei den etwas Jüngeren an, die noch nicht so fit in Sachen Selbstinszenierungsstrategien sind.

Die bei Jugendlichen besonders beliebten Social-Web-Angebote (Facebook, WhatsApp) sind ja nahezu ausschließlich kommerzielle Angebote. So bewegen sich Heranwachsende online nie nur als Nutzende, sondern immer auch als Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie stimmen AGBs zu und ihnen begegnen in ihren (mobilen) Medienwelten Werbe-und Konsumangebote. Viele Angebote werten zudem persönliche Informationen für Werbezwecke aus. Das stellt Anforderungen an die Nutzenden: Im Idealfall sollten sie selbstbestimmt und reflektiert mit diesen Angeboten umgehen… Eine klassische Aufgabe für die Medienethik?

Die geschilderte Problemlage ist außerordentlich komplex: die Welt, in der wir leben, ist fast vollständig von Werbeeinblendungen begleitet. Aufgabe der Medienethik ist es zunächst, das zu kritisieren und Argumente zu überlegen, die zur Beurteilung einer solchen Welt herangezogen werden können. So kann die Medienethik eine politische Regulierung im Hinblick auf die weitere Vereinfachung von AGBs fordern oder – zum Beispiel in Bezug auf den Jugendschutz – dass (werbe)geschützte Räume für Kinder und jüngere Jugendliche angeboten werden. An dem Punkt wird es aber natürlich kontrovers: Denn selbstverständlich müssen gute Angebote auch refinanziert werden. Eine ökonomische, durch Werbung geprägte Umwelt ist per se nichts Schlechtes, weil sie uns gute kommunikative Angebote ermöglicht. Aus medienethischer Perspektive aber muss man für Kinder und Jugendliche unbedingt werbefreie Räume suchen. Und zwar jenseits von Schule – da gibt es ja tatsächlich nicht mehr viel…

Es gibt ja aber schon Gesetze (z.B. den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag), in denen Regeln für Werbung formuliert sind…

Es ist gut, dass es diese Gesetze gibt. Man muss diese Gesetze aber auch kontinuierlich beobachten, ob sie nicht neuen Gegebenheiten angepasst werden müssen. Diese Gesetze sind nie fertig. Die Frage ist doch, warum diese Gesetze nicht noch strenger gemacht werden – hier fängt aus meiner Sicht die interessante Debatte an.

Inwiefern?

Dahinter stecken ökonomische Interessen, Interessen von Unternehmen und großen Plattformanbietern, die ihre Kommunikationsangebote verkaufen. Ich finde es bedenklich, wenn Leuten Kommunikationsmöglichkeiten nur eröffnet werden, wenn sie dafür bezahlen, indem sie beispielsweise Daten preisgeben. Auf der anderen Seite ist beispielsweise Facebook natürlich ein sehr gutes Kommunikationsinstrument und funktioniert auch deswegen so gut, weil damit Geld verdient wird. Es ist also eine zweischneidige Geschichte und bleibt es auch. Umso wichtiger ist es deshalb, dass der Diskurs darüber geführt wird.

Die Medienethik führt den Diskurs, die Medienkompetenz setzt ihn praktisch um?

So einfach ist es nicht. Medienethik hat die Aufgabe, über Moralfragen im Bereich von Medien zu urteilen. Medienethisch tätig ist also jeder, der darüber reflektiert, was im Bereich der Medien gut und richtig ist. Man kann Medienethik daher auch als Teilbereich von Medienkompetenz sehen: denn die Kompetenz, über richtig oder falsch in Sachen Medien-Moral zu reflektieren, ist ein wichtiger Teil von Medienkompetenz. Mit anderen darüber zu streiten, was in diesem Bereich richtig oder falsch ist – das ist nicht banal, das muss man einüben – zumal Medienethik auch immer die Aufgabe hat, die Menschen in ihrer Handlungssicherheit zu verunsichern… Das ist unangenehm, eine Unterbrechung, die uns im Alltag aufhält. Aber ohne Medienethik geht es nicht. Deshalb plädiere ich dafür, dass diese Reflexionskompetenz – neben vielen praktischen Kompetenzen – Teil von Medienkompetenz und Ziel von Medienkompetenzvermittlung sein soll.

Content Marketing – YouTube Stars – Gamification – Always-On Markting aus dem medienethischen Blickwinkel

Von der Theorie zur Praxis: Hier sind vier aktuelle Werbe-Trends in Bezug auf die jugendliche Zielgruppe. Kommentieren Sie bitte aus medienethischer Sicht!

1. Content Marketing – funktioniert im Internet bestenfalls viral, der Inhalt verbreitet sich also von selbst (wie beispielsweise der „Supergeil“-Spot von EDEKA). Sind sich die Jugendlichen ihrer Rolle als Werbe-Transporteure bewusst?

Auf „like“ oder „share“ ist schnell so geklickt, dass man sich in dem Moment darüber kaum bewusst sein kann. Wenn man die Jugendlichen aber im Nachhinein fragt, ob sie sich darüber bewusst waren, geht ihnen das Licht natürlich sofort auf. Doch dann ist die Werbung bereits weiter… Die Reflexionskompetenz ist also da, aber in dem Moment, in dem sie die Werbung witzig finden und weiterleiten, ist ihnen das egal.

2. YouTube-Stars als Online-Testimonials – sie bedienen den Wunsch nach Authentizität und Erlebnisorientierung, vermitteln „echte“ Markenerlebnisse…

Das gute alte Productplacement – selbst das im neuen James-Bond-Film – ist dagegen richtig harmlos. Denn bei den YouTubern ist oft gar nicht mehr zu unterscheiden, was Inhalt und was Interessenerfüllung von wirtschaftlichen Akteuren ist. Diese neuen Werbeformen entziehen sich alten medienethischen Kategorien wie der Trennung von Redaktion und Werbung komplett.

3. Gamification, also die Anwendung von Spieleprinzipien auf spielfremde Anwendungen, ist ein weiterer Trend im digitalen Marketing, um mehr Kundenbindung zu erreichen…

Ein mächtiges Tool in der strategischen Kommunikation: denn da die Menschen – gerade jüngere – gerne spielen, können sie sich dem nur schwer entziehen. Ethisch bedenklich ist die Verführungskraft des Spiels.

4. Always-on-Marketing (AOM) – dabei geht es darum, überall dort, wo sich Kundinnen und Kunden mit einer Marke befassen, Daten zu erheben und so zu verarbeiten, dass sie beim nächsten Kontakt passend angesprochen werden können.

Wenn mir also der Sneaker, den ich mir auf Amazon angeschaut habe, beim nächsten Besuch im Sportgeschäft in der passenden Größe präsentiert wird… Da wird die Reise hingehen! Manchen mag das praktisch erscheinen, ich finde es gruselig.

Wie sollte denn dann „gute“ Werbung aus medienethischer Perspektive aussehen?

Gute Werbung im Sinne der Medienethik ist Werbung, die nicht verschleiert, dass sie Werbung ist. Inhaltlich sollte sie keine Stereotypen aufgreifen und sich hüten, Geschlechter- und kulturelle Klischees zu präsentieren.

Zur Person:

Prof. Dr. Alexander Filipović (geb. 1975 in Bremen) lehrt als Deutschlands erster und einziger Professor für Medienethik an der Münchner Hochschule für Philosophie. Ein Schwerpunkt seines medienethischen Engagements sind die Sozialen Netzwerke und das Web 2.0. Da medienethische Kritik seiner Meinung nach „nur durch Kenntnis aus eigener Erfahrung möglich ist“, bloggt er seit 2006 unter www.unbeliebigkeitsraum.de. Als wichtigen Teil seiner Arbeit sieht Filipović zudem die öffentliche medienethische Expertise in den Medien – dabei geht es meist um die Beurteilung von aktuellen Herausforderungen der Medienwelt. Hier liegt aus seiner Sicht die Chance, wissenschaftlich erarbeitetes Wissen an eine breitere Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Veranstaltungstipp:
Fachtagung Medienpädagogik – Like it! Share it! Buy it! Neue Werbeformen im Alltag Jugendlicher (Veranstaltung bereits ausgebucht)

 

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