Di
16.08

Auf einmal Krisenreporter für Radio Trausnitz

von Florian Jochum unter Radio

Eigentlich ist der 1. Juni 2016 ein ganz normaler Arbeitstag für Florian Jochum. Seit 2002 arbeitet er als Redakteur für Radio Trausnitz und betreut die Region Rottal-Inn. Bis er den Anruf bekommt, dass Triftern mit Hochwasser kämpft. Auf einmal wird Jochum zum Krisenreporter bei einer Flutkatastrophe.

Krisenreporter bei der Flutkatastrophe in Rottal-Inn

Ja es hatte in den letzten Tagen viel geregnet. Der Fluss die Rott, von dem das Gebiet auch den Namen trägt, war wie üblich hellbraun von dem vielen Humus, der dann immer über die Felder eingeschwemmt wird. Aber aus meiner Sicht nichts Ungewöhnliches.

Krisenreporter für Radio Trausnitz

Fotos: Florian Jochum

So war der 1. Juni ein ganz normaler Arbeitstag! Ich arbeitete in meinem Homeoffice in Eggenfelden, als gegen Mittag die Redaktion von Radio Trausnitz anrief: „Bei Dir in der Region soll Hochwasser sein, kannst Du das bestätigen?“

Ich sah aus dem Fenster, die Sonne schien und die Einfahrt war trocken. „Quatsch“, meinte ich, „hier ist gar nichts! Da wird wohl ein Keller vollgelaufen sein, aber Hochwasser? Nein!“ Wir beendeten das Gespräch und waren uns einig, dass hier wohl ein Hörer etwas übertrieben hatte.

Eine halbe Stunde später klingelte es erneut. Wieder die Kollegin, diesmal deutlich aufgebrachter: „Ich habe hier Bilder via WhatsApp von Triftern bekommen, da steht ein Teil das Marktplatzes unter Wasser.“ Sie schickte mir die Bilder weiter. Tatsächlich! Aber wie konnte das sein? Triftern ist nur 20 km von Eggenfelden entfernt und kein großer Fluss fließt durch. Lediglich der kleine Altbach, von dem ich wusste, dass man da rüber springen kann.

Wenn ein Rinnsal zum reißenden Fluss wird

Ich startete los. Die Strecke nach Pfarrkirchen verläuft entlang der Rott. Alles normal, hellbraun vom Regen, aber nichts Dramatisches. Auch als ich den Rottausensee erreichte, der künstlich angelegt als Hochwasserrückhaltebecken dient, war nichts ungewöhnlich. Und den hatte ich weiß Gott schon oft überflutet gesehen.

In Pfarrkirchen bog ich ab Richtung Triftern. In einer ersten Senke sah ich erstmals Hochwasser. Im ersten Moment dachte ich, es sei die Rott, weil so unglaublich viel Wasser kam. In Wirklichkeit war es ein Bach, den man bei normalem Wasserstand als Rinnsal bezeichnen würde und von dem die Nachbarn nicht mal wussten, wie er heißt. Und dieses Rinnsal hatte bereits die Oberkannte der Brücke leicht überspült. Ich stieg aus, machte Fotos und einen ersten Korrespondentenbericht, damit ich schon mal was hatte.

Als ich mit meinem Auto das zehn Zentimeter hohe Wasser durchfuhr, wurde mir erstmals mulmig: „Was ist, wenn das Wasser hier steigt? Dann komme ich nicht mehr zurück, denn der Bach in Triftern soll ja auch überflutet sein…. Na ja, wird schon gut gehen!“, versuchte ich mich selbst zu überzeugen.

Nach Triftern musste man aus diesem kleinen Tal nochmal über eine Anhöhe fahren. Oben angekommen sah ich Hubschrauber. Drei Stück kreisten über dem kleinen Ort. Drei Hubschrauber über Triftern! Ich war baff! Ich suchte eine Parkmöglichkeit und machte mich zu Fuß weiter auf den Weg. Und dann sah ich erstmals das Ausmaß:

Vorher Korrespondent, auf einmal Krisenreporter

Und dann sah ich erstmals das Ausmaß: Mitten durch den Ort zog sich ein reißender Fluss. Aus dem vier Meter breiten Altbach war ein 100 Meter breiter Strom geworden.

Kühlschränke, Couchgarnituren, sogar ein Wohnwagen zogen vorbei.

Hubschrauber holten Menschen mit Seilwinden aus den Häusern, Froschmänner fuhren mit Booten durch das reißende Wasser und retteten Menschen aus den bis zum ersten Stock überfluteten Häusern! Immer wieder fragte ich mich, ob das alles echt sei: In meiner Heimat? Bei mir daheim? Nicht im Kriegsgebiet?

Im Zehn-Minuten-Takt setzte ich Korrespondentenberichte ab und avancierte so vom Korrespondenten zum Krisenreporter. Ich schilderte einfach nur noch, was ich sah und was ich empfand!

Zum ersten Mal habe ich an dem Tag auch erkannt, wie unübersichtlich so eine Situation ist. Man sieht nur punktuell, was passiert und weiß, dass alles, was man On Air absetzt, großes Gewicht hat. „Aber ist das alles richtig? Sind meine Einschätzungen angemessen?“, fragte ich mich.

Jetzt war ich wirklich mittendrin!

Plötzlich stürmte eine Anwohnerin auf mich zu: „Ich wurde von einer Dame angerufen, die mir sagte, dass der Mieter unter ihr, ein älterer Herr, in seiner Wohnung eingeschlossen ist. Der Wasserdruck von außen ist so hoch, dass er die Tür nicht öffnen kann. Ich hab es denen schon gesagt, aber die glauben mir nicht! Sie sind doch von Radio Trausnitz, ihnen glauben die!“, sprudelte es aus ihr heraus. So jetzt war ich wirklich mittendrin! Ich lief zu den Rettungskräften und schilderte, was sie gesagt hatte. Wie sich herausstellte, hatten sie es durchaus ernst genommen, kämpften aber mit dem Problem, dass sie selbst nicht ortskundig waren. Und, na ja, Straßenschilder oder Hausnummern waren nicht mehr zu lesen. Deshalb hatten sie noch kein Boot losgeschickt.

Google Maps war die Lösung! Mittels eines Tablets navigierten sie zu dem eingeschlossenen Mann und lotsten den Hubschrauber. Der Mann konnte schließlich unterkühlt, aber wohlbehalten mit der Seilwinde geborgen werden.

Was sich hier in zwei Sätzen wie eine kurze Episode liest, war ein Einsatz, der sich über eine Stunde hingezogen hatte und von dem alle Beteiligten lange Zeit nicht wussten, ob alles gut geht! Auszüge aus meinem Bericht sind hier zu sehen:

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Nach ein paar Stunden entfernten sich die Hubschrauber und auch rund um Wasserwacht, Feuerwehr und Rotem Kreuz wurde es ruhiger. Das Wasser schien langsam zurück zu gehen, und es war wohl niemand mehr in Lebensgefahr. Mir war nicht klar, dass zu dem Zeitpunkt erst das richtig dramatische Ereignis, 15 Kilometer entfernt in Simbach am Inn, in vollem Gange war!

Ich fuhr zurück, kam Gott sei Dank problemlos über die Brücke des, wie ich inzwischen erfahren hatte, Baches mit dem Namen Wühr und erreichte Pfarrkirchen. Nachdem ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte, holte ich mir an einer Tankstelle einen Snack.

Der merkwürdigste Schokoriegel meines Lebens

Jetzt kam ich zum ersten Mal zur Ruhe. Ich saß im Auto, biss von einem Snickers ab und war doch noch wenige Minuten zuvor im Katastrophengebiet! Nur sechs Kilometer entfernt waren die Hubschrauber gekreist und ich aß ein Snickers. Es war der merkwürdigste Schokoriegel meines Lebens.

Am Abend traf ich mich auf ein Bier mit Freunden, um meine Unruhe zu überwinden, als plötzlich mein Handy summte: Eine Frau war tot geborgen worden! Das traf mich! Wie oft hatte ich schon über Tote bei Unfällen berichtet, aber das war anders. Ein Mensch war in der Katastrophe gestorben, während ich dort war! Am Ende waren es sieben Tote!

Tags darauf fuhr ich schon um fünf Uhr früh nach Triftern, um in der Morgensendung aktuell zu berichten. Der Altbach hatte sich zurückgezogen, ganz so als sei nichts gewesen. Doch die Verwüstungen waren enorm!

Ich fuhr weiter nach Simbach am Inn. Auf dem Weg dorthin war die Straße weg. Weggespült! Ich drehte um, nahm einen anderen Weg. Auch hier sah ich immer wieder Schäden an Straßen und Häusern. Aber zwischendrin auch wieder nichts. So als sei nichts gewesen!

In Simbach parkte ich am Kirchenplatz, dem Stadtplatz. Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten, es war ganz ruhig und friedlich. Ich ging nur 50 Meter zur Innstraße hinunter!

Ein Bild der Verwüstung: Ich funktionierte einfach nur!

Und das werde ich nie vergessen! Ein Bild der Verwüstung! Keine Fensterscheibe mehr in den Häusern, Massen von Schlamm, Geröll, Balken, Brettern, Möbeln, Autos, Haushaltgeräten. Es stank nach Öl! Alles kaputt, einfach kaputt. Dort, wo ich schon x-mal im Cafe gesessen hatte, in der Disko, in der ich vor 20 Jahren immer gewesen bin, in der Boutique, in der ich kürzlich noch ein Interview geführt hatte: Schlamm, Dreck, Wasser! Mit 90 km/h war hier vor wenigen Stunden drei Meter hoch das Wasser durchgeschossen!

Krisenreporter für Radio TrausnitzIch musste mich sammeln. Mein Job war es ja zu berichten. Und so funktionierte ich einfach nur. Ich sprach mit Menschen, die fassungslos waren, erschüttert, perspektivlos, aber auch mit Menschen, die voller Tatendrang waren! Extreme zwischen Aussichtslosigkeit und Anpackstimmung!

Ich habe mit Menschen gesprochen, die mit dem Leben abgeschlossen hatten, mit Menschen, die ihren Partnern zusehen mussten, wie sie mit den Fluten kämpften, ohne helfen zu können. Ich habe von Menschen erfahren, die stundenlang ihr totes Haustier auf dem Schoß hielten oder anderen, die einen Monat nach der Flut immer noch keine Helfer ins Haus gelassen hatten, weil sie es nicht wahr haben wollten!

Es war einfach zu nah!

Auf meiner Heimfahrt von Simbach hielt ich kurz an. Mir schossen Gedanken durch den Kopf: „Wie hätte ich reagiert? Kann man hier überhaupt richtig reagieren? So etwas ist so unglaublich. So etwas passiert doch nicht. Nicht hier! Nicht bei uns!“

Ich dachte an meine Kinder, meine Frau, meine Familie, meine Freunde. Ja, ich habe geweint, und es rührt mich heute noch zutiefst, wenn ich daran denke! Mir ist nichts passiert, rein gar nichts, aber es ist bei mir passiert!

Es war einfach zu nah!

 

 

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